Vorwärts, vorwärts, nie zurück

Punk wurde in der DDR nicht verstanden, aber brutal verfolgt. „Too much future“, eine kanonische Kompilation illegaler Punkaufnahmen, zeigt, wie lebendig die Szene war und wie sich die SED ihr eigenes Grab schaufelte

Punks am Leninplatz, Berlin, 1981. Anfangs positionierten sich viele links von der SED, später wechselten manche die Seite Foto: Ilse Ruppert/Photo12/Universal Images Group/getty images

Von Ulrich Gutmair

Es ist ein großer Popsong, den das Duo Rosa Beton 1983 im Berliner Vorwort Hönow im Kinderzimmer des damals 16 Jahre alten Thomas Wagner mittels einer Vierspurmaschine aufnahm. Eine simple Melodie schraubt sich mittels eines stoisch rumpelnden Beats ins Hirn, beim zweiten Refrain singt man schon mit: „Ich bin schon 16 Jahre im Exil. 16 Jahre sind schon viel zu viel.“ Lakonischer kann man Teenagerfrust über das Leben im „ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden“ nicht artikulieren. Thomas Wagner und sein Bandkollege Ronald „Mausi“ Mausolf singen davon, zu einer Existenz in einem Bunker verbannt zu sein, als handle es sich um eine verflossene Liebe. Rosa Beton traten nie auf, aber ihr Demotape erfreute sich in Ostberlin einiger Beliebtheit. Jetzt ist das Stück erstmals offiziell veröffentlicht worden.

Punk aus der Deutschen Demokratischen Republik war im Westen ein Gerücht. Man konnte in den Achtzigern darüber in der Zeitung lesen, hin und wieder ein paar dunkle Gestalten im Fernsehen betrachten; einzelne Songs wurden von Reportern aus dem Land geschmuggelt und im Radio (West) gespielt. Die einzigen im Westen erschienenen Dokumente dieses Sounds waren eine Kompilation und ein Split-Album, die für die Protagonisten im Osten zum Teil üble Folgen hatten.

Inzwischen aber ist die Ostpunkszene in einer Fülle von Publikationen und Filmen durchleuchtet worden. Eines der nachhaltigsten pophistorischen Projekte ist der Forschungscluster „Too Much Future“, der im Jahr 2005 eine Serie von Ausstellungen kuratierte. Dazu erschienen Kataloge und 2007 eine ebenfalls „Too Much Future“ betitelte Kinodokumentation. Dann wurde weiter im Archiv gearbeitet. Ergebnis ist eine nun vorliegende Kompilation, die den letzten Akt des Projekts „Too Much Future“ markiert und die man mit Fug und Recht als Kanon der Punkgeschichte der DDR bezeichnen kann.

Warum dieser Titel? „Ob zunächst nur gefühlt und später bewusst, die Verachtung der Punks richtete sich gegen eine Musterutopie, welche die Zukunft für alle Zeiten festschrieb“, schreibt Henryk Gericke. „Ihr ‚No Future‘ hieß ‚Too Much Future‘.“

Henryk Gericke und Maik Reichenbach versammeln in einer Box mit drei Schallplatten ausschließlich Aufnahmen von Bands, „die in der Illegalität aktiv waren und der Pflicht zur staatlichen Einstufung konsequent einen Spieltrieb entgegensetzten, der sich um keine Spielerlaubnis scherte“, schreiben die beiden im Editorial zum Heft, das der Box beigelegt und besser als Buch denn als Booklet beschrieben ist.

Darin hat Gericke zu jeder Band einen Text geschrieben, der kenntnisreich harte Fakten mit Kolportage vermischt, vor nichts Respekt hat, aber viel Humor. Es handelt sich also um veritable Punkliteratur, die ich mit großem Vergnügen gelesen habe und die das akustische Material zum Teil überhaupt erst erschließt.

Punk wurde von den staatlichen Organen in der DDR nicht verstanden, aber brutal verfolgt. „Halbstarke, Hippies und Punks wurden von einer elastischen Vielfalt berüchtigter Gummiparagraphen gemaßregelt“, schreibt Gericke. Überwachung, Rekrutierung von IMs aus der Szene durch das Ministerium für Staatssicherheit, Zugriffe, Verhaftungen, Zersetzung, also Psychoterror – das war das Maßnahmenarsenal, mit dem der Staat auf die künstlerische Produktivität seiner jungen Bürger reagierte und so einer ganzen Generation deutlich machte, dass die DDR nicht nur eine spaßbefreite Zone war, sondern dass ihr Apparat das eigene Leben jederzeit zugrunde richten konnte, wenn man sich nicht konform verhielt.

„Ich bin schon 16 Jahre im Exil. 16 Jahre sind schon viel zu viel“

Rosa Beton

Der Umgang mit Punk zeigte die Verknöcherung des Systems und war zugleich einer der Spatenstiche, mit denen dieser Staat sein eigenes Grab schaufelte: „Keine Szene wurde derart intensiv von der Staatssicherheit betreut wie die Punkszene, und keine Jugendbewegung zuvor war davon weniger zu beeindrucken“, schreibt Gericke. Das kann man der Musik noch heute anhören. Die Aufnahmen wurden größtenteils mit Kassettenrekorder getätigt, und trotz scheppernden Sounds transportiert sich die Energie.

Ein Song wie „DDR Terrorstaat“ verließ aus naheliegenden Gründen den Berliner Proberaum nie: „DDR Terrorstaat, wir haben deine Scheiße satt / DDR, mein Vaterland, du raubst uns nochmal den Verstand.“ Andere, wie „Friedensstaat“ von L’Attentat aus Leipzig, waren in der Szene Hits. Es gibt neben erstklassigen Lyrics grobschlächtige Slogans von den Sham 69 der DDR, Schleim-Keim, zu hören, stumpfer Prollpunk folgt auf den avantgardistischen No Wave von Torpedo Mahlsdorf. Aus Bands wie Rosa Extra wuchsen viele Äste eines verzweigten Stammbaums bis in die Gegenwart.

Ironisch und sehnsuchtsvoll zugleich klingt der New-Wave-Sound von Ernst F. All: „Vorwärts, vorwärts, nie zurück / Das ist die Zeit / Leben für den Augenblick / Immer nach vorn / Nicht daran denken / wer verliert, wenn der Mensch gewinnt.“

too much future – Punkrock GDR 1980–1989. Hrsg. von Henryk Gericke & Maik Reichenbach. Edition Iron Curtain Radio #001, 1.000 Exemplare. Major Label / Broken Silence