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Das zweite Leben des Kürbiskerns

Fast von der Pandemie komplett aus dem Rennen genommen, hat das Bremer Start-up „Chewow“ jetzt doch einen Fuß in den Einzelhandel bekommen: Es vertreibt Fast Food, das nachhaltig sein soll

Von Benno Schirrmeister

Jetzt haben sie es also doch geschafft: Seit Mitte September liegen ihre Produkte in Kühlregalen einer Handvoll Bremer Rewe-Filialen, „Gyr*s“ aus Kürbiskernen, das am spektakulärsten ist, und Nugg*ts aus norddeutschen Ackerbohnen. Nix aus Soja, und das mit voller Absicht: „Ich bin der Meinung, dass die Vielfalt auf dem Acker eine Chance haben muss“, sagt Marlo Kockerols, die gleichberechtigt mit Federico Krader die Geschäfte von „Chewow“ führt. Vor gut einem Jahr als „Bold Foods“ gegründet, haben die Gesellschafter das Start-ups im April umbenannt, wobei unklar bleibt, was der Name bedeuten soll, der so stark nach kleinem Hund klingt.

Spezialisiert hat sich Chewow auf Kühlregal-Fast-Food für den Hausgebrauch, das nachhaltig sein soll – also etwa aus pflanzlichen Rohstoffen wie Ackerbohnen, die in Norddeutschland angebaut werden. Es ist aber nicht vegan aus Prinzip: „Wir setzen ganz auf Nachhaltigkeit“, sagt Kockerols. Das Marketing nutzt dafür das Schlagwort „Revolution“, mit dem der Anspruch verbunden wird, „den Planeten ein kleines bisschen besser machen zu können“, durch Fast Food. Also hat man auch Pattys aus gemahlenen Getreideschimmelkäfern im Angebot. Die werden schockgefrostet zur Produktion aus den Niederlanden importiert.

„Wir stehen nicht selbst in der Küche“, sagt Kockerols. Das Unternehmen vermarktet eher Produkte, als sie selbst zu entwickeln. Kulinarisch sorgt das für eine uneinheitliche Qualität. Die Burger schmecken eher so lala, eine salzige Tex-Mex- und eine Spinat-Frikadelle, in die jemand Champignonschnipsel integriert hat. Das kann nicht mit den Standards mithalten, die von der Osnabrücker Bug-Foundation gesetzt worden sind. Geschmacklich und von der Konsistenz her perfekt sind die Nugg*ts: schönes weißes Inneres, fasrig und zugleich saftig, das ist eine gelungene Kreation.

Spannender, ist das Gyr*s: „Da wird nicht mal etwas für uns angepflanzt“, sagt Kockerols, sprich: für den Rohstoff wird kein Wasser verbraucht und außer beim Transport kein CO2 ausgestoßen. Denn es wird auf Basis der Presskuchen von steirischem Kürbiskernöl produziert – also aus Abfall, der nährstoffreich und von apartem Aroma ist. Das für den Verbrauch zu retten ist eine Superidee. Bloß: Das vegane Gyros-Imitat krümelt stark, wird daher beim Garen schnell trocken und ungleichmäßig kross.

Länger gebraucht hat die Markteinführung, und wahrscheinlich hätte die Firma aufgeben müssen, wäre nicht mit Rüstungsreeder Peter Lürßen noch ein Geldgeber eingestiegen. „Wir wollten eigentlich Ende Juli im Handel liegen“, sagt Kockerols. Das wäre auch genau der richtige Moment gewesen: Corona und der Schlachthof­skandal hatten die Nachfrage nach Fleischlosem stark angekurbelt. Aber der Einzelhandel war in der Pandemie eher vorsichtig bei Neuheiten, und gleichzeitig pflasterte Unilever die Städte mit Werbung für die Sojaprodukte des „Vegetarian Butcher“: Revolution sozusagen von oben. Chewow hat sie überlebt. Jetzt muss die Firma sehen, wie sie zurechtkommt.

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