: „Training mit Delfinen“
Women*Team (XVIII): Sportlerinnen bekommen weniger Aufmerksamkeit und Geld für ihre Leistungen als Männer. Hier kommen sie zu Wort. Parakanutin Edina Müller sagt, dass weibliche Vorbilder sichtbar sein müssen, die mit Behinderung Leistungssport machen
Edina Müller 37, ist Sporttherapeutin in Hamburg und paralympische Kanutin.
Interview Deborah Kircheis
taz: Frau Müller, gerade wären Sie eigentlich in Tokio bei den Paralympics. Haben Sie Fernweh?
Edina Müller: Ja, natürlich denke ich viel daran, jetzt da zu sein. Aber wir haben die Paralympics im Team trotzdem zelebriert, indem der Deutsche Behindertensportverband die Paralymnix ins Leben gerufen hat. Wenn Wettkämpfe gewesen wären, haben wir selbst einen kleinen Wettkampf gedreht.
Warum fahren Sie professionell Kajak?
Mein Partner und ich hatten ein Faltkajak, mit dem wir viel unterwegs waren. Es war eher Zufall, dass ich das Rennkajak ausprobiert habe. Wir sind einfach sehr wasseraffin und gern Kajak gefahren. Deswegen habe ich mich dann in diesem Leistungssport ausprobiert.
Und davor?
Vorher habe ich Rollstuhlbasketball gespielt. Eigentlich wollte ich nicht sofort in den Leistungssport zurück, sondern in der Freizeit Kajak fahren, aber ich bin wieder da rein gerutscht. Da zieht einen die Leidenschaft hin.
Hätten Sie als Kind erwartet, einmal auf internationaler Ebene Sport zu machen?
Nein, gar nicht. Meine Familie ist aber sehr sportbegeistert. Zum Beispiel haben wir eigentlich immer sehr wenig Fernsehen geschaut – schon gar nicht beim Essen. Aber wenn Olympia war, dann durfte der Fernseher auch mal am Tisch laufen. Das war ein Highlight.
Im Alter von 16 Jahren haben Sie das Gefühl in Ihren Beinen verloren. Was hat das mit Ihnen gemacht?
Mit 16 war es erst mal schwierig, sich emotional darauf einzulassen, weil man nur schwer versteht, was das fürs Leben bedeutet. In dem Alter hat man keine Vorstellung davon, wie ein Leben im Rollstuhl aussehen könnte, gerade weil man in der Pubertät noch mit ganz anderen Sachen beschäftigt ist. Aber wenn man in diesem Alter eine Behinderung erwirbt – was übrigens eine seltsame Ausdrucksweise ist – dann ist es einfacher, weil man sich auf viele Dinge einstellen kann. Ich habe direkt gelernt, mit Handgas Auto zu fahren, meinen beruflichen Weg und meine Uni danach ausgesucht.
Haben Sie ein Vorbild?
Nein, ich habe da eher auf mich geguckt. Allerdings: Wenn man nie sieht, dass eine Frau Präsidentin ist, wird auch kein Mädchen sagen, dass sie Präsidentin werden möchte. Genauso ist es im paralympischen Bereich. Deswegen konnte ich mich nirgendwo orientieren. Man braucht im Sport weibliche Vorbilder und Vorbilder mit einer Behinderung, damit man danach streben kann. Nur ein Beispiel: Im letzten Jahr war die Kanu- und Parakanu-Weltmeisterschaft, die seit 2009 inklusiv ist. Das Fernsehen war da und sie drehten einen zehnminütigen Beitrag. Nur wir wurden nicht mit einem Wort erwähnt. Das ist hart.
Sind Sie beim Kajakfahren durch ihre Behinderung eingeschränkt?
Im Freizeitsport nicht, aber im Leistungssportbereich kann ich nicht die Geschwindigkeiten der olympischen Athlet*innen erreichen. Denn man drückt sich eigentlich mit den Beinen gegen das Stemmbrett, um Kraft aus dem ganzen Körper in das Blatt zu bekommen.
Sind Sie heute glücklich?
Ich kann nicht sagen, wie mein Leben ohne Rollstuhl verlaufen wäre. Aber man muss einfach irgendwie loslegen! Und jetzt habe ich meinen Job, den ich immer machen wollte, wir haben ein Haus gekauft, ich habe mein Kind und meinen Mann und möchte mir das nicht anders vorstellen.
Was war der coolste Ort, an dem Sie je Kajak gefahren sind?
Ich hatte ein Trainingslager in Florida. Dort haben wir auf einem Fluss trainiert, in dem es Delfine und Seekühe gab. Die Delfine mögen die Bugwellen, die man macht und springen drüber. Den ersten Trainingstag kann man vergessen, weil man nur guckt. Aber es war schon extrem cool.
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