aufreger: Schule ist keine Strandbar – Frankreich streitet über Bauchnäbel
Frankreich hat – wieder mal – einen heißen Streit um „korrekte“ Bekleidung in der Schule. Dieses Mal geht es nicht um Schleierartiges und Religion. Seit Mitte September fordern Mädchen und junge Frauen in diversen Netzwerken ihr Recht, sich für den Unterricht zu kleiden, wie es ihnen gefällt, und namentlich, dazu auch ein sommerlich kurzes, nabelfreies Top zu tragen. Auslöser der Bewegung war gleich nach dem Schulbeginn eine Protestaktion im nordfranzösischen Lycée Edouard-Branly in Boulogne-sur-mer.
Mehrere Dutzend Schülerinnen demonstrierten dort vor dem Tor gegen die Kritik an ihrem modischen „Crop top“, das den Nabel frei lässt, an Minijupes oder Shorts. In mehreren Schulen waren zuvor Jugendliche unter Verweis auf die Hausordnung von Schulleitungen gemahnt und gemaßregelt worden. Zudem war wenige Tage zuvor im Pariser Musée d’Orsay der 22-jährigen Jeanne aus Tours der Zutritt wegen ihres angeblich zu aufreizenden Dekolletés verweigert worden war. Innerhalb kürzester Zeit aber ist das „Crop top“ zum Symbol einer Debatte über Freiheit und Moral geworden. Im Internet ist das nabelfreie Top die Fahne einer Rebellion geworden.
Auch Erziehungsminister Jean-Michel Blanquer mischte sich in die Debatte ein, was er besser gelassen hätte. Denn er meinte, „man“ komme doch nicht in die Schule, wie man „an den Strand oder in den Nachtclub“ gehe … Er stellte sich hinter die Schulleitung, die auf „korrekter Kleidung“ im Unterricht bestanden habe. Im Namen des „gesunden Menschenverstands“ solle jeder und jede sich für die Schule „normal“ anziehen.
Seine Regierungskollegin Marlène Schiappa dagegen solidarisierte sich anlässlich eines landesweiten Aktionstags am 14. September mit den „Mädchen, die spontan kurze Röcke, Crop tops oder Maquillage tragen, um so gegen sexistische Bemerkungen und Akte ihre Freiheit zu verteidigen“.
Die meist moralisierende, wenn nicht sogar diskriminierende Debatte um Kleidervorschriften, Mode oder Haartracht ist wohl fast so alt wie die Schule selber. Vor fünfzig Jahren ging es um Jeans der Mädchen oder schulterlange Haare der Jungen, später schon um Minijupes, Nagellack oder Lippenstift. Die Diskussionen um die Crop tops werden unweigerlich wie jede französische Polemik um Kleidung in der Schule damit enden, dass die Sitten- und Ordnungshüter Schuluniformen empfehlen, die angeblich niemanden stören.
Rudolf Balmer, Paris
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