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Seismart,City

Berlins Weg zur digitalisierten „Smart City“ wirft viele Fragen auf – für Bewohner*innen ebenso wie für die Politik. Etwa wem die dabei gesammelten Daten gehören und welchen Einfluss die Stadt auf ihre Infrastruktur behält

Von Jonas Wahmkow

Da spielen wir jetzt ein wenig Zukunftsmusik.“ Rene Wetzel steht neben einer Straßenlaterne auf dem Euref-Campus in Berlin-Schöneberg. Eigentlich wäre der Senior Manager heute im Homeoffice, aber für den Pressebesuch komme er gern auf den Campus, um das Start-up, für das er arbeitet, vorzustellen. „Mit Smart Charging lässt sich der Anteil erneuerbarer Energien deutlich erhöhen“, fährt der lässig gekleidete Wetzel hörbar begeistert fort.

Die Straßenlaterne, neben der Wetzel steht, ist der eigentliche Mittelpunkt der Präsentation: Etwa auf Hüfthöhe ragt aus dem Mast ein Ladekabel hervor, dessen anderes Ende in einem Elektroauto steckt. Ubitricity, so heißt das Start-up, für das Wetzel arbeitet, und baut Straßenlaternen zu Ladestationen für Elektro-Autos um.

Wetzel und seine Mitstreiter*innen wollen nicht nur E-Mobilität attraktiver machen, indem sie mit minimalem Aufwand flächendeckend Ladestationen verfügbar machen. Sie wollen auch dazu beitragen, die Idee einer „grünen“ Stadt zu verwirklichen, die ausschließlich mit erneuerbaren Energien betrieben wird.

Das Problem bei Solar- und Windenergie sei vor allem die Unregelmäßigkeit bei deren Erzeugung, erklärt Wetzel: Wie viel Strom gerade zur Verfügung steht, hängt eben davon ab, ob der Wind weht oder die Sonne scheint. Viele Elektroautos, die den längsten Teil des Tages geparkt herumstehen, könnten durch intelligentes Laden diese Unregelmäßigkeiten ausgleichen und so die Netzspannung konstant halten – smarte Technologie.

„Das Stromnetz kommuniziert mit dem Auto“, erklärt Wetzel und macht damit deutlich, was er mit „Zukunftsmusik“ meint. Ein Algorithmus bestimme anhand des Ladestands, des Strompreises und des zu erwartenden Nutzungsverhaltens, ob und wie viel Strom das Auto lädt. „Es wäre sogar denkbar, dass die Autos Strom wieder zurück ins Netz einspeisen“, erklärt Wetzel: wenn zum Beispiel gerade Flaute ist und weniger Strom erzeugt wird als benötigt. Das smarte Auto wisse dann anhand gesammelter Daten von selbst, wann eine*e Nutzer*in wieder fahren will und wie viel Batterieleistung dafür benötigt werde, erläutert Wetzel die Vision des Start-ups.

Zukunftsmusik wird auf dem Euref-Campus nicht nur bei Ubitricity gespielt. Das „Europäische Energieforum“, so der volle Name, ist einer von elf ausgewiesenen „Zukunftsorten“ Berlins. Auf dem 5,5 Hektar großen Areal rund um das ikonische Gasomete-Gebäude arbeiten und forschen 150 Unternehmen mit rund 3.500 Mitarbeitenden an ihrer Version der „Stadt von Morgen“.

Der Campus selbst ist dabei eine Art Testlabor für Smart-City-Technologien: Bis vor Kurzem fuhren hier noch autonom fahrende Busse und Autos, die sich selbstständig auf induktiven Ladestationen kabellos geladen haben. Die Testphase ist mittlerweile erfolgreich abgeschlossen. An den aufgeräumten Fassaden der modernen Bürogebäude, die rund um das Gasometer Platz für Start-ups und etablierte Großunternehmen bieten, hängen durchsichtige Röhren mit grünlich schimmerndem Wasser, in denen essbare Algen gezüchtet werden. Auf den Dächern produzieren Photovoltaikanlagen Strom für die vielen elektrischen Autos auf dem Gelände.

Im Idealfall sind die erprobten Technologien dann bereit für den Einsatz auf größerem Feld: „Wir freuen uns, wenn etwas im Stadtgebiet Anwendung findet“, sagt Euref-Vorstand Karin Teichmann während einer Präsentationstour über den Campus.

Vor allem die Privatwirtschaft treibt die Digitalisierung voran

Die verheißungsvolle Smart City, sie wird hier ein wenig greifbar. Der Trendbegriff hat zwar etwas an Strahlkraft verloren, geistert aber immer noch durch Berlins Stadtpolitik, Zivilgesellschaft und nicht zuletzt aufstrebende Digitalwirtschaft. Ursprünglich vom IT-Riesen IBM als Marketingbegriff entwickelt, kann Smart City fast alles sein, was sich in der Schnittmenge zwischen städtischem Raum und Digitalisierung befindet.

Der Markt für Smart-City-Produkte wie Echtzeit-Verkehrsregulation oder intelligente Müllentsorgung boomt. So sagt der Verband für Internetwirtschaft Eco in einer Studie für das Jahr 2022 einen Umsatz von 43 Milliarden Euro voraus bei einem jährlichen Wachstum von über 16 Prozent – und das allein in Deutschland. Das Marktforschungsunternehmen Frost & Sullivan prognostiziert ein Anstieg des Umsatzvolumens des globalen Marktes auf 2 Billionen US-Dollar bis 2025.

Ein lukratives Geschäft, auch für den komplett privaten Euref-Campus. „Wir haben nie Fördergelder bekommen“ erklärt Managerin Teichmann stolz, „das Ganze ist auch profitabel, obwohl die entwickelten Lösungen bezahlbar sind.“

Angesichts solcher Gewinnaussichten ist es nicht verwunderlich, dass die Privatwirtschaft bislang als eine der größten Treiberinnen der Digitalisierung in Städten auftritt. Smart City wurde vom Marketingbegriff zur eigenständigen Erzählung, die immer wieder in Hochglanzbroschüren und auf Smart-City-Konferenzen erzählt wird. Ausgangspunkt dieser Erzählung ist der Trend, dass weltweit immer mehr Menschen in Städte ziehen. Das rasante Wachstum bringt Probleme mit sich, die nur mittels Effizienzsteigerung durch digitale und smarte Technologien gelöst werden können. Gleichzeitig bedeutet die Verlagerung in die Städte, dass die wichtigsten Fragen der Menschheit dort entschieden werden.

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