Neues Album von US-Künstlerin Sneaks: Wut macht auf Dauer müde

Minimalistischer Postpunk, große Müdigkeit im Sound: US-Künstlerin Sneaks alias Eva Moolchan veröffentlicht ihr neustes Werk: „Happy Birthday“.

Sneaks steht in gelbem T-Shirt vor einer Ziegelmauer

Ausdruck klappt auch mit knappen Lyrics: Sneaks aus Washington D.C Foto: Sasha Lord

Die US-Essayistin Jia Tolentino hat einmal geschrieben, der moderne Minimalismus sei eine ziemlich stressige Angelegenheit. Während man beschäftigt damit sei, sein Leben nach allen Regeln der Kunst (und der Aufräumpäpstin Marie Kondō) zu entrümpeln, folge man eigentlich nur einer bizarren Konsumlogik: Less is more – oder eben doch: more, more, more. Der Wille zum ­„Weniger“ erlege einem mehr und mehr Regeln auf.

In dieser Zeit bewies die junge US-Künstlerin Eva Moolchan, die mit „Happy Birthday“ nun ihr viertes Album unter dem Namen Sneaks veröffentlicht, wie befreiend und kraftvoll Reduktion noch immer wirken kann, wenn dahinter aufrechte No-Bullshit-Mentalität steht. Die Musikerin aus Washington, D. C., brauchte nicht mehr als einen Drumcomputer und ein paar rudimentäre Bassläufe für eines der besten Postpunk-Alben der vergangenen Jahre.

Ihr Debütalbum erschien 2014 als Kassette bei Sister Polygon Records, dem kleinen Label der US-Band Priests, und wurde nach seiner Wiederveröffentlichung auf Vinyl im darauffolgenden Jahr auch über die Washingtoner DIY-Punk-Szene hinaus bekannt.

Knochentrockene Lockerungsübungen

„Gymnastics“ nannte Moolchan ihre zehn knochentrockenen Anderthalbminüter, die ein wenig klangen, als spiele die Rapperin Princess Nokia Coverversionen des britischen Duos Sleaford Mods. Das war mit einem ähnlich kargen Sound berühmt geworden, benötigt aber deutlich mehr (Schimpf-)Worte als Moolchan. Ihre knappen Lyrics, erzählte sie mal dem Musikmagazin Loud And Quiet, lausche sie dem Alltag ab: Sie verwende unter anderem Fragmente aus der Werbung, um sie in neue Kontexte zu setzen.

Sneaks: „Happy Birthday“ (Merge/Cargo)

https://sneaks.bandcamp.com/album/happy-birthday

Moolchans Frühwerk klang abgeklärt und hellwach; mit ihrem neuen Album „Happy Birthday“ ist nun die große Müdigkeit in ihren Sound eingezogen. Schon seit dem Vorgänger vernebeln giftige Synthesizersounds und andere Einflüsse ihren Postpunk der sehr reinen Lehre. Auf „Highway Hypnosis“ von 2019 klangen Moolchans skizzenhafte Songs nach spukigem Horrorcore, Dub und Neunziger-Rave, allerdings von der Sorte, die sich eher wie ein Kater am Tag nach der Party ­anhörten.

Auf dem Cover von „Happy Birthday“ ist nun eine Neonreklametafel mit erloschenen Lichtern zu sehen, inmitten einer Stadt, deren Hochhausfenster die BetrachterInnen böse anglimmen. Hier schleicht das Unbehagen immer mit um die Häuser. Für eine Sekunde glaubt man, „Faith“ könnte zum House-Track werden, bevor ein sedierter Synthesizer im Hintergrund zu leiern beginnt. Überhaupt sind es die Synthies, die hier das Grundgefühl von Resignation nähren.

Mehr Gameboygenirsche als Moogsound

Moolchan lässt sie extrabillig, matt und stumpf klingen, mehr Gameboy- als Moog-Qualität. In Songs wie „Winter Weather“ kippt ihr Sprechgesang deutlicher denn je gen HipHop, bleibt aber ostentativ gelangweilt – wobei ihre Texte stärker als bislang befeuert von Identitätsfragen scheinen.

Warum man einer Schwarzen Frau wie ihr nicht zutraue, etwas zu erschaffen, fragt Moolchan in „This World“. Ihren GegnerInnen schleudert sie Wut entgegen („I get so angry / Spit you out / You little prick“), während ihr Wave-Entwurf dazu klingt wie ein Depeche-Mode-Song, dem man den Saft abgedreht hat. Wütendsein macht eben auf Dauer müde. In „Sanity“, mit seinen sechs Minuten für Sneaks-Verhältnisse schon ein Epos, erzählt Moolchan zu zischelnden Hi-Hats, dass sie Zeit für ihre Eitelkeiten brauche.

Sonst singt sie über Sternzeichen, über Probleme ihrer Mitmenschen, sogar übers Wetter: Urbane Smalltalk-Themen und – Phrasen, in Szene gesetzt als Alptraum auf Tranquilizern. So minimalistisch und tight wie einst klingt das nicht mehr – befreiend erst recht nicht. Vielleicht ist das die größte Verweigerungsleistung von Sneaks.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.