Wahlrechtsreform für den Bundestag: Großkoalitionäres Fingerhakeln

Am Dienstag hat der Koalitionsausschuss die wohl letzte Chance, sich vor der Bundestagswahl über die Verringerung der Abgeordnetenzahl zu einigen.

der Plenarsaal des Bundestages mit vielen besetzten Abgeordnetensitzen

Im Parlament wird es gelegentlich voll Foto: dpa

BERLIN taz | Die Zeit bis zur kommenden Bundestagswahl wird knapp. Wenn sich am Dienstag die Spitzen von CDU, CSU und SPD treffen, könnte das die letzte Chance für eine Wahlrechtsreform noch in dieser Legislaturperiode sein. Doch dass sich der Koalitionsausschuss auf einen gemeinsamen Vorschlag wird verständigen können, scheint mehr als zweifelhaft.

Noch jedenfalls beharren Union und SPD auf ihren höchst unterschiedlichen Modellen, wie sie eine personelle Reduzierung des Bundestages erreichen wollen. Eine Kompromisslinie zeichnet sich nicht ab.

Es ist allerdings auch kompliziert. Dass der Bundestag mit aktuell 709 Mitgliedern allzu weit von der vorgesehenen Zielgröße von 598 Abgeordneten entfernt ist, gilt zwar als unstrittig – zumal eine weitere Vergrößerung auf mehr als 800 nach der nächsten Wahl droht. So geben sich alle im Parlament vertretenen Parteien einig in dem Ziel einer Verkleinerung.

Aber damit hören die Gemeinsamkeiten auch auf. Denn über den Weg dorthin gehen die Auffassungen meilenweit auseinander. Aus gutem Grund: Es geht schließlich darum, auf wessen Kosten eine mögliche Reform gehen wird.

Konkreter Streitpunkt ist der Umgang mit Überhang- und Ausgleichsmandaten. Die zentrale Frage ist, wie mit jenen Mandaten verfahren werden soll, die anfallen, weil eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate geholt hat, als ihr vom Zweitstimmenergebnis her zustehen.

Augenfälligstes Beispiel ist die CSU, die bei der vergangenen Bundestagswahl nach den Zweitstimmen eigentlich nur Anspruch auf 39 Sitze gehabt hätte, jedoch alle 46 Wahlkreise in Bayern direkt gewann. 46 Überhangsmandate gab es insgesamt 2017, neben den 7 für die CSU noch 36 für die CDU und 3 für die SPD. Dafür erhielten die anderen Parteien Ausgleichsmandate, und zwar insgesamt 65 (SPD: 19, Linkspartei: 10, Grüne: 10, FDP: 15, AfD: 11).

Weniger Mandate – nur wie?

Klar ist: Um den Bundestag zu verkleinern, muss die Zahl der Überhang- und Ausgleichsmandate deutlich gesenkt werden. Aber wie? Darüber wird nun bereits seit Jahren gestritten. Eine Variante haben Grüne, FDP und Linkspartei bereits im Herbst 2019 vorgelegt. In ihrem gemeinsamen Gesetzentwurf schlagen die drei Oppositionsparteien vor, einerseits den Bundestag auf eine Sollgröße von 630 Abgeordneten zu erhöhen und andererseits die Wahlkreise von 299 auf 250 zu reduzieren.

Doch eine solch starke Verringerung der Wahlkreise stößt sowohl bei der Union als auch bei der SPD auf wenig Begeisterung. CDU und CSU haben sich zwar inzwischen auch zu einem Vorschlag durchgerungen, der eine Wahlkreisreduzierung vorsieht – aber eine wesentlich moderatere. 280 sollen es immer noch sein, also nur 19 weniger. Knackpunkt ist jedoch vor allem, dass nach dem Unionsvorschlag bis zu 7 Überhangmandate nicht mehr ausgeglichen werden sollen, was sowohl auf eine Verfälschung des Wähler:innenvotums zu ihren Gunsten als auch entsprechend auf eine Benachteiligung der anderen Parteien hinauslaufen würde.

An einem Mandatsbonus für die Union hat nicht nur die SPD verständlicherweise kein Interesse. Außerdem wollen die Sozialdemokrat:innen aber auch keine Verringerung der Wahlkreise. Sie argumentieren, dass es für einen Neuzuschnitt zur kommenden Bundestagswahl bereits zu spät sei, da in etlichen Wahlkreisen schon Kandidat:innen nominiert worden wären.

SPD für Obergrenze

Stattdessen schlägt die SPD als „Übergangsregelung“ eine absolute Mandatsobergrenze vor. Danach soll der Bundestag auf 690 Abgeordnete gedeckelt werden. Überhang- und Ausgleichsmandate sollen nur noch bis zu dieser Höhe entsprechend des Zweitstimmenergebnisses zugeteilt werden. „Alle über die Obergrenze hinausgehenden Überhangmandate werden nicht mehr zugeteilt“, heißt es im SPD-Vorschlag. Das würde bedeuten, dass es Direktkandidat:innen passieren kann, zwar ihren Wahlkreis zu gewinnen, aber trotzdem nicht in den Bundestag einzuziehen. Ein solches Verfahren hält die Union für verfassungswidrig.

In die gleiche Richtung wie die SPD, nur noch weitergehend, zielt die AfD: Auch sie will Wahlkreisgewinner:innen das Mandat verwehren, falls ihre Partei im jeweiligen Land mehr Wahlkreise direkt gewonnen hat, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis an Sitzen zustehen. Zudem spricht sie sich auch noch dagegen aus, die Sollgröße des Bundestags zu erhöhen.

Die Situation scheint völlig verfahren. „Es liegt in der Verantwortung der Fraktionen, jetzt endlich einen Kompromiss zu finden, der dann auch von der vom Bundesverfassungsgericht geforderten breiten Mehrheit im Bundestag getragen wird“, mahnte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) am Montag gegenüber der dpa. „Es geht hier um die Handlungsfähigkeit des Parlaments und damit um das Vertrauen der Bürger in unsere parlamentarische Demokratie.“

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