piwik no script img

Auf dem Hackathon fing alles an

Shresth Agrawal und Stefan Karl wohnen zusammen in Hamburg – und entwickeln eine App, die Musiker:innen aus der ganzen Welt zusammenbringen will

Die beiden Freunde lernten sich bei einem Programmierertreffen kennen und basteln seitdem an ihrem Musikvernetzungsprojekt

Von Lisa Becke (Text) und Paula Markert (Fotos)

Stefan Karl und Shresth Agrawal sind in vielerlei Hinsicht unterschiedlich. Gerade entwickeln sie gemeinsam eine Musik-App und haben sich über die Arbeit miteinander angefreundet.

Draußen: Die Klingelschilder sind mehrfach überklebt, manche Namen hochkant an den Rand gekritzelt. Vom Balkon hängt ein selbst beschriebenes Leintuch mit einer Solidaritätsbekundung. Um die Ecke fließt die Außenalster. „Ich mag Hamburg. Vor allem das Wasser. Es beruhigt wirklich alles“, sagt Stefan Karl. Shresth Agrawal ist es nicht so wichtig, wo er gerade wohnt: „Ich habe in großen Städten gewohnt, in kleinen Orten, darauf kommt es mir nicht an. Mir geht es um die Menschen.“

Drinnen: Erster Stock, vier Meter hohe Decken. Eine Wohngemeinschaft, die schon viele WG-Jahre hinter sich hat. Sechs Leute wohnen hier. Zwei davon sind Karl und Agrawal. Letzterer nur für ein paar Wochen.

Der Hackathon: Eigentlich studiert der 19-jährige Agrawal in Bremen Informatik. Vor eineinhalb Jahren kam er dafür nach Deutschland. Ein halbes Jahr später hat er den 27-jährigen Karl auf einem Hackathon in Köln kenngelernt. Das Wort Hackathon setzt sich aus „Hack“ und „Marathon“ zusammen und ist die Bezeichnung für eine Veranstaltung, bei der sich Menschen über mehrere Tage treffen („Marathon“), um technologische Lösungen („Hack“) für bestimmte Probleme zu entwickeln. In Köln ging es um Fragen des Urheberrechts: Wie können wir besser nachvollziehen, wer sich welchen Teil eines Musikstücks ausgedacht hat?

Die App: Das ist gar nicht so schwer, dachte Informatik-Student Agrawal. Schließlich gibt es ja bereits Computeranwendungen, die genau nachvollziehen lassen, wer darin eine Änderung vorgenommen hat. „Genau das müssen wir jetzt einfach für die Musik bauen“, überlegte Agrawal. Doch ganz so einfach war es dann doch nicht. Dennoch verfolgten er und Karl die Idee weiter und entwickeln gerade eine App, die es Musiker:innen ermöglichen soll, von unterschiedlichen Orten der Welt gemeinsam an digitalen Musikstücken zu arbeiten – und die App soll dann registrieren, wer was dazu beigetragen hat. Das ist deshalb wichtig, weil sich die Musikproduktion durch die Digitalisierung verändert hat. Die unterschiedlichen Instrumente werden nun einfach von zu Hause aus eingespielt. Dadurch gehe das Gemeinsame jedoch oft verloren, sagt Karl. Mit der App wollen er und Agrawal nicht nur größere Transparenz bei Gemeinschaftsprojekten schaffen, sondern Musikmachende auch wieder zusammenbringen.

Karls Talent: Menschen zusammenzubringen, das ist gewissermaßen das, was Karls Arbeit ausmacht. Normalerweise ist er ständig draußen unterwegs, redet mit Leuten, sucht den Austausch. „Durch Corona wurde mir da jetzt mein natürliches Element entzogen“, sagt er. Diese offene Art war dann auch Agrawals erster Eindruck von Karl: „Das ist ein Typ, der kann sprechen“, dachte er.

Agrawals Talent: „Shresth ist ein sehr logischer Mensch, das ist etwas, das ich so nicht von mir behaupten würde“, sagt Karl. „Ich fühlte mich direkt davon angezogen.“ So kam es, dass von den vielen Menschen, die am Hackathon teilgenommen hatten, nur die beiden weiter an der Idee tüftelten. Denn irgendwie hatte es zwischen ihnen gepasst. Logisch, dass so jetzt auch die Aufgaben verteilt sind: Der eine programmiert, der andere organisiert und vermarktet. „Ununu“ haben sie ihr Projekt genannt. Das steht für: „You and you and you“, „du und du und du“.

Beides kreative Tätigkeiten: Musikmachen und Programmieren

Freundschaft: Durch die gemeinsame Arbeit an der App lernen sich Karl und Agrawal gerade besser kennen, sie sind zu Freunden geworden. Vor Kurzem haben sie sich über ihre Schulzeit unterhalten: „Das ist lustig, ich trug eine Schuluniform, er nicht“, sagt Agrawal. „Ich habe viel Neues gelernt, was sehr aufregend ist“, sagt Karl. „Ein komplett frischer Wind, eine neue Geschichte übers Leben.“

Chakradharpur: Agrawal ist in der kleinen Stadt Chakradharpur in der Nähe von Raipur in Indien aufgewachsen. Seine Eltern hätten ihn nicht eingeengt, wie viele indische Eltern das täten. Stattdessen hielten sie ihn dazu an, jede Möglichkeit zu nutzen. Nicht um zu gewinnen, aber um teilzunehmen und das Beste zu geben. „Sie haben mich nie nach meinen Noten gefragt“, sagt er. Der Klassenbeste sei er dann trotzdem gewesen. In Chakradharpur hat er nicht nur mit seinen Eltern, sondern auch mit seinem kleinen Bruder und seinen Großeltern in einem Haus gelebt. Es vergehe kein Tag, an dem er nicht mit mindestens einem von ihnen spricht. „Das ist ganz anders in der europäischen Kultur“, findet er. „Ich kenne Leute, die rufen ihre Eltern nur einmal in der Woche an.“

Kenzingen: So einer ist Karl. Jeden Sonntag skypt er mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder. Karl ist in Kenzingen in der Nähe von Freiburg aufgewachsen. Während seiner Schulzeit hat er in Bands gespielt, viel Funkrock, „Red Hot Chili Peppers und so“. Das hat Agrawal auch gemacht, aber bei ihm war es Bollywoodmusik. Kürzlich fand Karl heraus, dass Agrawal den Oasis-Song „Wonderwall“ und die Backstreet Boys nicht kennt. Das überraschte ihn, gleichzeitig kennt er sich mit indischer Musik nicht aus. Aber das Schöne: „Musik hört sich überall unterschiedlich an, aber sie hat die gleiche Wirkung auf Menschen.“

Eine mächtige Erzählung: „Musik hat einen riesigen Einfluss auf mein Leben“, sagt Karl. „Sie ist die mächtigste Erzählung, da ist so viel Emotion.“ Auch für Agrawal ist Musik ein wichtiger Bestandteil seines Lebens. „Er macht keine Musik an, er ist die Musik“, sagt Karl über seinen neuen Freund und beschreibt, wie Agrawal einmal vor seinem Laptop saß, die Kopfhörer aufsetzte und sofort seine Hände zur Musik bewegte, als würde er Schlagzeug spielen.

Maultaschen: Dadurch, dass sie jetzt zusammenwohnen, sehen sie sich auch außerhalb der Arbeit. Da sagt dann zum Beispiel einer: „Los, wir gehen jetzt joggen und reden nicht über Ununu.“ Manchmal macht Karl Salat, Flammkuchen, Maultaschen. Das süddeutsche Essen schmecke ihm gut, sagt Agrawal.

Wohnen: Karl ist ein genügsamer Typ. Es gibt nicht viel in seinem Zimmer: ein schmales, hohes Fenster, eine Matratze, ein Regal mit ein paar Klamotten, die Schuhe in der Ecke, eine Gitarre. Nicht einmal eine Lampe hängt an der Decke. Wenn es dunkel wird, macht er eine kleine Schreibtischlampe an, die auf dem Boden neben seiner Matratze steht. Die hat er im WG-Flur gefunden.

Ein Altbau in Hamburg: Hier lebt das Entwicklerteam

Vorfreude: Wenn Agrawal morgens aufwacht, checkt er erstmal auf dem Smartphone seine Aufgaben und Termine für den Tag. „Damit ich aufstehen kann, muss ich mich auf den Tag freuen“, sagt er. Und wenn er Aufgaben hat, dann freut er sich. „Für mich ist das keine Arbeit“, sagt er. Oft machen sich die beiden gemeinsam auf den Weg ins Büro. Um neun Uhr wollen sie da sein, aber meist gehen sie dann um zwanzig nach neun los. Sie laufen durch den Park, holen sich Schokocroissants. Karl trinkt Kaffee, Agrawal mag keinen, er trinkt Wasser. „Ich trinke viel Wasser“, sagt er.

Elon Musk: Agrawal will mal im Silicon Valley arbeiten. „Und da coole Sachen entwickeln, die Leute benutzen.“ Für diese Erfindungen will er dann bekannt sein. Elon Musk, der sich mit Tesla, Paypal, SpaceX einen Namen gemacht hat, inspiriert ihn, wegen seiner „tech attitude“, wie er sagt. Aber er sagt auch: „Ich will die Welt nicht verändern, das ist zu viel für mich.“

Der Idealist: Karl ist da mehr der Idealist. „Ich will Verantwortung übernehmen und ich will Dinge erreichen, die diesen Ort besser machen.“ Seine Idee davon hat mit Unternehmertum zu tun, dem ethische Standards wichtig sind. „So dass Leute konsumieren können, ohne sich Sorgen machen zu müssen, weil sie wissen, dass bestimmte Standards eingehalten werden“, sagt er. Vor einigen Jahren hat er International Economics studiert.

Gemeinsamkeit: Die Coronakrise, die Lage in den USA, der Klimawandel. „Ich fühle mich überwältigt“, sagt Karl. Die größte Bedrohung zurzeit sieht er aber darin, dass die Gesellschaften auseinanderdriften: „Ich wünschte, wir hätten mehr Gemeinsamkeiten.“ Daran arbeiten die beiden, als binäres Unu – you and you.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen