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Freigeist mit Plänen

Mit Pernille Harder, seiner Torgarantin, möchte der VfL Wolfsburg ins Finale derChampions League einziehen. Dafür müssen sie freilich den FC Barcelona schlagen

Von Frank Hellmann

Wer sich mal die Mühe macht, eine Heatmap von Pernille Harder aufzutreiben, also eine Aufzeichnung ihrer Aktionsradien auf dem Feld, der stellt Erstaunliches fest: Heraus kommt ein Wirrwarr von bunten Punkten, die sich scheinbar ohne jegliche Systematik in der gegnerischen Spielhälfte verteilen. Die dänische Starstürmern des VfL Wolfsburg gilt seit geraumer Zeit als interessantester Freigeist im Frauenfußball: Wie eine „freie Radikale“ darf sie hinter der Spitze Ewa Pajor überall und nirgends unterwegs sein und verdingt sich zum Dank als Torschützin vom Fließband. Die 27-Jährige hat seit ihrem Wechsel vom FC Linköping im Januar 2017 sagenhafte 105 Tore in 112 Pflichtspielen für den Doublesieger aus der Autostadt erzielt, die im Halbfinale der Women’s Champions League gegen den Vorjahresfinalisten FC Barcelona (Dienstag 20 Uhr/Sport1) vor der bislang härtesten Prüfung stehen, um zum fünften Mal des Finale der weiblichen Königsklasse zu erreichen. Wie der FC Bayern bei den Männern könnten auch die Frauen des VfL Wolfsburg ihr Triple von 2013 wiederholen.

Zum Warmschießen hätte es für die beidfüßige Edeltechnikerin mit dem geschmeidigen Bewegungsablauf keine bessere Gelegenheit als den Freitagabend im spanischen San Sebastian geben können, als die Wolfsburger Nummer 22 gegen den überforderten schottischen Meister Glasgow City (9:1) gleich vier Mal traf. Als eine von drei Kapitäninnen trug sie auch die Regenbogenbinde, denn ihre Popularität setzt Dänemarks sechsfache Fußballerin des Jahres auch dafür ein, für die Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Beziehungen zu werben.

Dabei war ihr Coming-Out keine bewusste Aktion: Weil sich die dänische Auswahl nicht für die Frauen-WM 2019 qualifiziert hatte, reiste Harder als Touristin nach Frankreich, um ihre Lebensgefährtin Magdalena Eriksson im schwedischen Team zu unterstützen. Nach dem gewonnenen Achtelfinale küssten sich die beiden im Pariser Prinzenpark – und ein Fotograf hielt die Szene eher zufällig fest. Das Bild sorgte für große Aufmerksamkeit.

„Die Reaktionen waren überwiegend positiv. Viele schrieben uns, dass wir ihnen Mut gemacht hätten, ebenfalls offen zu ihrer Orientierung zu stehen“, sagte die Bundesliga-Torschützenkönigin. Danach habe sie gemerkt, wie wichtig solche Idole aus dem Sport für junge Menschen seien. Seitdem setzt sie sich wie Weltfußballerin Megan Rapinoe (USA) oder Weltklassespielerin Ada Hegerberg (Norwegen) für mehr Anerkennung des Frauenfußballs ein und rät dem Männerfußball, seine Ausrichtung zu überdenken. Sie verstehe das Zögern, sich zu Homosexualität zu bekennen, „denn der Männerfußball kultiviert immer noch längst überholte Vorstellungen von Maskulinität“.

Wie eine „freie Radikale“ darf sie überall und nirgends sein

VfL-Sportdirektor Ralf Kellermann hat jüngst ausgeschlossen, seine im östlichen Niedersachsen gereifte Vorzeigefußballerin über das Vertragsende 2021 hinaus halten zu können. Angeblich hätte diesen Sommer schon eine Ausstiegsklausel greifen können, nach der die 119-fache dänische Nationalspielerin gegen Zahlung einer mittleren sechsstelligen Ablöse hätte zum FC Chelsea wechseln können, wo ihre Partnerin unter Vertrag steht. Nun bleibt sie wohl eine weitere Saison in Deutschland, um sich nächstes Jahr einer Topadresse in England, Spanien oder Frankreich anzuschließen.

Für die offensive Allroun­derin ist es selbstverständlich, sich geschlechterübergreifend von den Koryphäen etwas abzuschauen. Stundenlang hat sie Videos studiert und das Freilaufverhalten von Cristiano Ronaldo im Strafraum oder die Spielorganisation der Barca-Strategen Iniesta oder Xavi seziert. Europas Fußballerin des Jahres 2018 hat nämlich ein Ziel, das die Tochter eines Fußballtrainers bereits mit zehn Jahren in einem Schulaufsatz festhielt: Sie will die beste Fußballerin der Welt werden.

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