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Rauund schön

Funktional und modern. Hässlich und kalt. Utopisch in den 1960ern und verachtet in den 1990ern. Jetzt zurückgekehrt in die Wohnkataloge: Ganz verschwunden ist der Beton nie. Über ein Material zwischen Ablehnung und Begeisterung

Von Nina Böckmann

Beton und Gefühle scheinen nur auf den ersten Blick keine schlüssige Einheit zu bilden. Doch es gibt sie. Eiskalt durchfährt es einen im Winter, wenn man über seine Oberfläche streicht. Kochend heiß fühlt er sich im Sommer an. Wie der Beton auf seine Umwelt reagiert, reagiert auch seine Umwelt auf ihn: mal mit Ablehnung, mal mit Begeisterung. Für die Jünger*innen des Betons kann er die Antwort auf alle Fragen der modernen Metropole sein. Für die anderen ist er Teil des Problems.

Dem Beton hängt sein schlechter Ruf, kalt, grau, billig, hässlich und gemein zu sein, immer noch an. Dabei ermöglichte Beton den Bau von Hochhäusern und damit eine effektivere Flächennutzung mehr als je zuvor. Besonders in urbanen Ballungsräumen, in denen mit der fortschreitenden Industrialisierung und Urbanisierung der Platz zum Wohnen und Arbeiten zur Neige ging. Auch komfortableres Wohnen ermöglichte er: Anders als die herkömmlichen Altbauwohnungen boten die aus Betonmodulen errichteten Plattenbauten des Ostens den Bewohner*innen die Vorzüge eines eigenen Badezimmers.

Von dieser einst fast ehrfürchtigen Perspektive auf den Beton war lange wenig geblieben. Nach dem großen Boom war er in den 90ern und Nullerjahren beinahe verpönt. Untrennbar verknüpft mit sozialen Brennpunkten, mit Abstieg oder zumindest mit der Angst davor. Und dennoch: Der Beton ist nicht verschwunden. Im Gegenteil, er erfährt in den letzten Jahren eine Renaissance. Der moderne Baustil kombiniert nunmehr die Härte von Sichtbeton, Glas und Stahl mit hölzernen Elementen. In Einrichtungshäusern und durchgestylten Wohnungen stehen Blumentöpfe und Seifenschalen aus Beton, die Leute kratzen ihre Tapeten und Farben von den Wänden, um den reinen Beton mit seinen Gebrauchsspuren sichtbar werden zu lassen – Shabby Chic heißt das heute.

Mit Beginn der 1950er Jahre erlebte der Beton seinen Aufstieg. Weltweit diente er als günstiger Baustoff für neue Gebäude. In den 1960er Jahren entwickelte er sich zu einem Stilmittel. Man nannte es Brutalismus, eine Bauart mit der Hauptkomponente Beton, die mehr ist als funktionaler Plattenbau. Er war Ausdruck von Utopie und Aufbruch, der sich architektonisch in skulpturartigen Gebäuden ausdrückte.

Maßgeblichen Einfluss auf den Baustil hatte der Schweizer Architekt Le Corbusier. Etwas Brutales, wie sich vermuten ließe, steckt nicht dahinter. Das Wort Brutalismus leitet sich vom französischen „béton brut“ (roher Beton) ab. Der Beton wird beim Bau in eine Holzverschalung gegossen und härtet in dieser aus. Er trägt danach ihre Narben. Man belässt ihn in dieser vermeintlichen Mangelhaftigkeit.

Nach den Vorstellungen Le Corbusiers sollten die brutalistischen Bauten als sogenannte Wohnmaschinen eine Kombination aus finanzierbarem Wohnraum und Raum für Freizeitaktivitäten darstellen. Sie sollten funktionieren wie vertikale Städte, mit Spielplätzen und Schwimmbädern, Parkanalgen auf den Dächern. Die utopische Vorstellung des Architekten: Die Wohnmaschinen könnten so die Kleinstadt ablösen. Indem sie ermöglichen, dass zwischen den Bewohner*innen eine freundschaftliche Beziehung entsteht, sie kollektive Aktivitäten planen, ihr Zusammenleben gemeinsam gestalten und dessen Verwaltung mitbestimmen können. Ein gänzlich neuer Ansatz, die moderne Stadt zu denken.

Von dieser Idee des solidarischen Zusammenlebens scheint heute wenig übrig geblieben zu sein. Sie ist der prekären Realität gewichen, die geprägt ist von räumlicher und sozialer Enge. Doch die Wiederaneignung und Umdeutung des Betons ist unübersehbar. Beton gehört zur Identität derjenigen, die in und mit ihm aufgewachsen sind. Der Rapper Trettmann („Grauer Beton“), der in der Plattenbausiedlung Fritz Heckert in Karl-Marx-Stadt (dem heutigen Chemnitz) aufgewachsen ist, singt vom Beton. Und auch alte und neuere Punkbands (S.Y.P.H: „Zurück zum Beton“, Feine Sahne Fischfilet: „Distel im Beton“) verarbeiten das Material in ihrer Musik.

Es gibt allerlei Anzeichen dafür, dass der Beton in verschiedenen Ausprägungen auch künftig das Baumittel Nummer eins ist. Doch letztlich bräuchte es mehr Le Corbusiers, um Städte zu bauen, die mehr sind als Fassade, nämlich Lebensraum für ihre Bewohner*innen. Der Beton könnte diese Tür wieder öffnen – würde er nicht auf seine günstige Produktion und seine Ästhetik reduziert werden. Beton könnte mehr sein als gemein und hässlich.

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