Noch ist nicht alles vorbei

Karnevalisten finden die Idee von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, die diesjährige Session abzusagen, gar nicht witzig: Sie fordern, die Entwicklung der Corona-Infektionen abzuwarten – und setzen auf strenge Hygienekonzepte

Da stonn se all ­zesamme: Kölner Mottowagen mit Spahn, AKK, Merz vom März 2019 Foto: Oliver Berg/dpa

Aus Bochum Andreas Wyputta

Da hört der Spaß auf: Entsetzt und verständnislos haben führende Karnevalisten auf den Vorstoß von CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn reagiert, die diesjährige Karnevalssession wegen der Coronapandemie einfach abzusagen. „Karneval kann man ebenso wenig verbieten wie Weihnachten“, sagte der Sprecher des Festkomitees Kölner Karneval, Michael Kramp, der taz. Zwar sei klar, dass „Partys, Bälle oder Diskos nicht stattfinden“ würden – Karnevalssitzungen unter Beachtung aller Hy­giene­regeln kann sich der Kölner aber vorstellen.

Zuvor hatte die in der Karnevalshochburg Düsseldorf erscheinende Rheinische Post berichtet, der Bundesgesundheitsminister blicke mit allergrößter Skepsis auf das traditionelle Treiben. „Ich war selbst Kinderprinz und komme aus einer Karnevalshochburg. Ich weiß also, wie wichtig Karneval für viele Millionen Deutsche ist“, habe Spahn am Dienstag in einer Telefonschaltkonferenz des Gesundheitsausschusses gesagt. „Aber: Ich kann mir Karneval in diesem Winter, mitten in der Pandemie schlicht nicht vorstellen. Das ist bitter, aber so ist es.“

„Bis zum Beginn der Session am 11. 11. ist es noch fast ein Vierteljahr“, hält Festkomitee-Sprecher Kramp dagegen. Natürlich seien die Jecken nicht so jeck, „um jeden Preis feiern“ zu wollen – doch solle doch bitte gewartet werden, wie sich die Corona-Infektionen bis zum November entwickelten. „Wir haben keinen Stress, brauchen keine schnelle Entscheidung“, sagt Kramp: „In Köln sind die Säle fünf Jahre, die Künstler zwei Jahre im Voraus gebucht.“

„Ein wirtschaftliches Desaster“ wäre eine Absage, warnt auch Klaus-Ludwig Fess, wichtiger Präsident des Bunds Deutscher Karneval: Nach einer Untersuchung der Unternehmensberatung Boston Consulting hat die Session 2018/19 allein in Köln für Umsätze von 600 Millionen Euro gesorgt – für Künstler*innen, besonders aber für Gastronomie und Hotellerie ist der Karneval ein Milliardengeschäft.

Entsprechend wenig begeistert reagiert auch Thorsten Hellwig, Sprecher des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga in Nordrhein-Westfalen, auf Spahns Vorstoß. „Verbote sollten immer erst am Ende einer Diskussion stehen“, fordert er. Zwar sähen auch die Gas­tro­no­m*in­nen die Gefahren der Pandemie: „Gesundheitsschutz muss natürlich Prio­ri­tät haben“, sagt Hellwig. Allerdings habe Corona schon jetzt „verheerende Auswirkungen“ auf die Branche: „Viele unserer Mitglieder haben Umsatzeinbußen von 50 Prozent und mehr.“

Gegenwind bekommt Spahn auch aus Rheinland-Pfalz. Die Aussagen des Bundesgesundheitsministers seien nur Meinungsäußerungen gewesen – aber kein konkretes Verbot, erklärte der Präsident des Gonsenheimer Carneval Vereins aus der Narrenhochburg Mainz, Martin Krawietz, im Südwestrundfunk. „Am Ende entscheidet ja nicht Spahn, sondern Behörden von Land und Stadt“, tröstet sich auch der Kölner Festkomitee-Sprecher Kramp noch.

Er setzt auf detaillierte Hygienekonzepte, die die Karnevalisten dem nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerium vorgelegt haben: Künstler*innen, die von Saal zu Saal ziehen, sollen auf Dis­tanz zum Publikum bleiben. In den Sälen könne die berühmte Bütt durch Abstand und Plexiglas geschützt werden. Auch über Abstände zwischen Blaskapellen und Zuschauer*innen (mindestens vier Meter) haben sich die Jecken ernsthafte Gedanken gemacht. „Außerdem setzen wir auf besondere Nachverfolgbarkeit: Bei uns wird genau regis­triert, wer etwa an Tisch vier auf Platz zwei sitzt“, sagt Kramp.

„Am Ende entscheidet ja nicht Spahn, sondern Behörden von Land und Stadt“

Michael Kramp, Sprecher des ­Festkomitees Kölner Karneval

„Eine pauschale Absage mehrere Monate vor der Session halten wir für wenig zielführend“, erklärte auch Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn im Kölner Stadt-Anzeiger. Dass in der kommenden Session alles anders sein wird, weiß Kuckelkorn aber auch: „Der Straßenkarneval, der Kneipenkarneval, das sind so Elemente, die wir uns nicht vorstellen können“, erklärte er gar nicht jeck im Radiosender WDR2. Denkbar seien aber etwa Karnevalswagen, die über Tage an der gleichen Stelle stehen und zu denen nur eine begrenzte Zahl registrierter Menschen vorgelassen würde, so sein Sprecher Kramp.

Nicht nur in Köln setzen die Jecken deshalb auf Nordrhein-Westfalens CDU-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann – und hoffen, dass dessen Angestellte die Hygienekonzepte durchwinken. Laumann selbst will den Karnevalisten nicht schon im August sagen, dass alles vorbei ist. Den durchgestochenen Vorschlag seines Parteifreunds hält der bodenständige Westfale schlicht für verfrüht: „Ich möchte schon gern, bevor wir diese Frage entscheiden, zwei, drei Wochen weiter sein“, sagte Laumann am Mittwoch. Allerdings: „Bei der jetzigen Infektionslage kann ich mir Karneval nicht vorstellen“, sagte der NRW-Gesundheitsminister im rheinischen Düsseldorf auch noch.

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