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Wer schreibt worüber?

Die Zeit bei taz.gazete war empowernd und herausfordernd. Am Ende steht die Erfahrung, dass Machtstrukturen und Privilegien überall gleich funktionieren

Von Canset İçpınar

Die Situation der Pressefreiheit in der Türkei war seit jeher schwierig. Nach dem Putschversuch 2016 spitzte sich die Lage für regierungskritische Jour­na­list*in­nen erneut zu. Viele migrierten nach Deutschland, und zum Jahreswechsel 2017 entstanden mehrere deutsch-türkische Nachrichtenportale. Als Journalistin verfolgte die Autorin dieses Textes wie andere Medienschaffende mit familiären Wurzeln in der Türkei besonders seit den Gezi-Protesten 2013 die politischen Ereignisse in dem Urlaubsland an der EU-Grenze. So brauchte es keine große Überzeugungsarbeit, als die Ideenmutter des Projektes, Fatma Aydemir, mich anfragte, an diesem bilingualen Experiment mitzuarbeiten.

Die zwei Jahre bei gazete waren eine aufregende Zeit. Noch nie war redaktionelle Arbeit so empowernd, aber auch so herausfordernd. Von der anfangs mehrheitlich weiblichen Zusammensetzung des Teams über die alternative Themenwahl zur immerwährenden redaktionellen Aufgabe der kulturellen Übersetzung – in jeglicher Hinsicht war gazete das Gegenteil von allem, was Re­dak­teur*in­nen aus weißen deutschen Mehrheitsredaktionen kennen. Sich im Team über die Tweets von wütenden AKP-Politikern zu amüsieren, ohne umständlich übersetzen zu müssen, war befreiend. Umso beklemmender, wenn wir intern und extern die selten subtile Erwartungshaltung an eine „Türkenredaktion“ diskutieren und folkloristische Klischeethemen abmoderieren mussten.

Eine der interessantesten Erfahrungen war aber, dass Machtstrukturen und Privilegien immer gleich funktionieren. Während in Berlin die gazete-Redaktion Metadiskussionen über strukturellen Rassismus führte und sich über die Feinheiten von Übersetzung und Redigat kloppte, berichteten Kolleg*innen von Istanbul bis Kurdistan unter Lebensgefahr, zumindest aber unter drohendem Freiheitsentzug über Repressionen und Menschenrechtsverletzungen.

Die Erfahrung, plötzlich privilegiert und deutsch gelesen zu werden, ausgedrückt im vermeintlichen Kompliment „Du sprichst aber gut x“ sowie dem Vater aller rassistischen Fragen, „Wo kommst du her“, nun auch vonseiten der weißen türkischen Mehrheitsgesellschaft (das hartnäckige Klischee der ungebildeten anatolischen Bauern und ihrer Nachkommen hält sich nicht nur in Deutschland), kann irritieren. Es schärft aber auch den Blick für andere Debatten.

Die Diskussion darüber, wer wie warum worüber schreibt, ist ein dauerhaftes Reizthema. Projekte wie gazete zeigen, dass der Anspruch vermeintlicher journalistischer Objektivität frei von Erfahrungen und politischer Haltung ein Ammenmärchen ist, das vor allem die besonders Privilegierten unter uns sich erzählen. Kein*e Jour­na­list*in ist im luftleeren Raum geboren. Wer atmet und denkt, hat eine Haltung. Im Idealfall weiß mensch, welche. Journalismus braucht Haltung. Solidarität ist eine Haltung. gazete ist Solidarität.

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