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Kein Schritt zurück

Dieses Jahr markiert eine tiefgreifende Wende für die Veranstaltungen zum Christopher Street Day (CSD) und viele Aktivitäten werden ins Internet verlagert

Von Stefan Hunglinger

„Wer immer“, so schrieb eine Mutter Anfang Juli in einer E-Mail an die taz, „im Familienkreis, unter Freund*innen oder im Beruf Ablehnung miterlebt, ergreife bitte Partei für das bunte und manchmal auch nackte Leben.“

2019 sei sie auf den Christopher Street Days (CSD) „an Rhein und Ruhr“ unterwegs gewesen, schrieb die Frau aus Hattingen, als stolzer Elternteil eines queeren Kindes, „auch sichtbar durch einen Button“. Gespräche mit Menschen zwischen 13 und 93 Jahren hätten sie damals erschüttert. „Was die Älteren in ihrer Jugend oder deren erwachsene Kinder im sozialen Umfeld erlebt haben, ist absolut nicht vergangen, auch heute werden queere junge Menschen von ihrer Familie ignoriert, ausgegrenzt, verstoßen – teils mit tödlichen Folgen, auf jeden Fall mit schweren Schäden an Leib und Seele.“

Zu den schwierigen „persönlichen“ Situationen, von denen die Leserin schrieb, kommen verschärfte Gesetze hinzu, die weltweit zunehmend die Gruppe der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans* und inter* Personen (LGBTI*) unter Druck setzen. Im benachbarten Polen (siehe Seite 32), in Russland, den Vereinigten Staaten, in Brasilien, Uganda und der Türkei muss mensch sich um deren Community sorgen.

In Deutschland ist es den Queers zwar gelungen, in einigen Bereichen den Staat auf ihre Seite zu ziehen, doch Gewalt gegen LGBTI*s nimmt auch hier zu. Und nach wie vor steht eine Reform des sogenannten Transsexuellengesetzes und des Adoptionsrechts aus, sind Männer, die Sex mit Männern haben, von der Blutspende ausgeschlossen, sind geschlechtsangleichende Eingriffe bei intersexuellen Menschen ohne informierte Zustimmung der Betroffenen nicht verboten. Nach wie vor müssen Queers der Gesellschaft und der Politik ihre Rechte und ihre Anerkennung abringen – im Alltag, im Verein und an den Feiertagen der Community, auch an Rhein und Ruhr.

Doch fünfzig Jahre nach der ersten Pride-Demonstration in New York und nach Jahrzehnten ihrer Aneignung weltweit, markiert die Regenbogensaison 2020 eine tiefgreifende Wende. Die Covid-19-Pandemie bedeutet einen Einschnitt für queere Lebensweisen, für die Sichtbarkeit und Organisation der Bewegung. Auch das HI-Virus, seine Geschichten und Traumata kommen durch Corona zurück ins kollektive Bewusstsein. Zeitgleich erinnern Proteste und Debatten zum hartnäckigen Rassismus in Gesellschaft und Polizei die Bewegung an ihre kämpferischen Wurzeln.

Der Blick zurück und auf die globale Situation von LGBTI*s, der Blick auf die benachbarten sozialen Bewegungen sowie die Einschränkungen durch die Pandemie, lassen das Wesentliche am CSD wieder deutlicher hervortreten. Die CSD-Alternativ-Demo, die am 27. Juni als Pride Parade durch Berlin zog, zeigte dies deutlich. Die große CSD-Parade in der Hauptstadt, die im letzten Jahr noch eine Million Menschen auf die Straße lockte wurde dagegen bereits im April abgesagt.

Mehrere Onlinestreams sollen nun am 25. Juli Musik- und Wortbeiträge sowie einzelne physische Aktionen in Berlin übertragen. Zuvor setzte schon der internationale Global Pride und der CSD München auf ein solches Format. Der digitale CSD unter dem Motto „Don’t hide your Pride!“ soll auf Youtube, Facebook und Twitch sowie im Fernsehen auf Alex TV zu sehen sein. Auch eine Ausstrahlung im Radio ist geplant.

Ebenfalls am 25. trägt in Berlin der Dyke* March die Forderung nach lesbischer Sichtbarkeit und Lebensfreude auf die Straße. Unter dem Motto „Wir sind ein Haushalt“ zieht die Demo, zu der traditionell viele mit dem Motorrad kommen, ab 15 Uhr vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor. Die Veranstaltenden rufen dazu auf, Abstand zu wahren und der Verbundenheit mit der Black-Lives-Matter-Bewegung auf Schildern Ausdruck zu geben.

Auch der CSD-Verein in Hamburg setzt auf eine rollende Demo mit Abstand: Am 1. August soll es hier mit Fahrrädern durch das Herz der Stadt gehen. Zum 40. Mal jährt sich damit die Pride Parade in der Hansestadt. Wie beim Dyke* March entfallen allerdings die Abschlusskundgebung und das queere Straßenfest. Das Jubiläumsmotto in Hamburg ist „Keep on fighting. Together“.

Wann, wie, wo?

Nach der Pride-Parade zum Auftakt folgt in Berlin an diesem Samstag (25. 7.) der CSD – dieses Jahr allerdings nicht als Umzug, der Massen anlockt, sondern als virtuelle Veranstaltung, während der lesbische Dyke* March am selben Tage durch die Straßen zieht. In Hamburg steigt der CSD dagegen eine Woche später als Fahhradkorso (1. 8.). Für den CSD in Dresden am 5. 9. werden die Details noch bekannt gegeben, der in Köln wurde gleich auf den 11. 10. verschoben – man hofft, dass sich die Covid-19-Lage bis dahin etwas entspannt hat. Weitere CSD-Termine unter www.csd-termine.de & csd-deutschland.de.

Die Kölner*innen haben ihren CSD auf den 11. Oktober verschoben, in der Hoffnung, dass sich bis dahin die Pandemie-Situation weiter entspannt. Schon ab dem 26. September wird es kleinere Community-Veranstaltungen geben. Das übliche Straßenfest wird aber auch hier nicht stattfinden.

In Nürnberg ist das diesjährige Pride-Motto „Queer Europe – Kein Schritt zurück“ seit dem 16. Juli auf über 400 Plakaten im ganzen Stadtgebiet zu lesen. Europäische Solidarität, etwa mit Queers in Polen, soll damit zum Ausdruck gebracht werden. Bereits am 2. August soll eine Regenbogen-Menschenkette durch die Innenstadt die Community sichtbar machen. „Erreichtes ist nicht unantastbar und während andere politische Gruppen Woche für Woche ihre Interessen in Dresden lautstark kommunizieren, wäre es ein verheerendes Signal wenn wir hier resignieren“, erklärt das dortige CSD-Team. Auf den 5. September wurde die Pride deshalb verschoben. Details zur Demo werden die Veranstaltenden demnächst bekannt geben.

Auch die Freiburger Demo wurde verschoben. Am 19. September soll es dort nun auf die Straße gehen. Die CSD-Vereine von Erfurt, Gera, Jena und Weimar wiederum kooperieren in diesem Jahr erstmals um ein landesweites Pride-Programm und einen gemeinsamen CSD Thüringen auf die Beine zu stellen. Am 17. Oktober soll die Community in Weimar zu einer gemeinsamen Demo unter Wahrung des gebotenen Abstands zusammenkommen.

Eine Premiere stellt auch der Pride Afrique dar, der vom 14.-16. August als Online-Stream stattfindet und nicht nur eine wichtige Selbstvergewisserung für die Community auf dem afrikanischen Kontinent darstellt, sondern auch einen einmaligen Einblick in die Themen und Kämpfe der LGBTI*s vor Ort gewährt. Informationen sowie der Stream finden sich unter www.prideafrique.org. Auch der engagierten Mutter aus Hattingen sei dieser Stream empfohlen. „Vielleicht können auch Sie mithelfen, das bunte Leben zu retten oder leichter zu machen“, hatte sie sich von der taz gewünscht.

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