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Vom Klotz zur Kleinteiligkeit

Jahrelang rottete die alte Hertie-Filiale mitten in der Stader Altstadt vor sich hin – bis endlich ein Investor gefunden wurde. Nun geht es etwas aufwärts

Aus Stade Sarah Zaheer

Die schmalen Straßen der Altstadt Stades sind am Samstagvormittag gut besucht. Vor wenigen Jahren sah das noch anders aus. Am Neuen Pferdemarkt, inmitten der Altstadt, stand bis 2016 ein großer, grauer Klotz: Insolvenzbedingt schloss 2009 die Stader Hertie-Filiale und noch Jahre später mussten die Einwohner*innen der niedersächsischen Kleinstadt den Anblick des verfallenden Gebäudes ertragen – bis vor zwei Jahren ein neuer Shopping-Komplex eröffnete.

„Für eine erfolgreiche Entwicklung von Innenstädten ist es ein großes Problem, wenn in zentraler Lage eine Immobilie mit dem Charme der Siebzigerjahre verfällt“, sagt Lars Kolk, parteiloser Stadtbaurat Stades. Dies habe sich auch auf die Attraktivität der Innenstadt Stades negativ ausgewirkt. Glücklicherweise habe man einen Käufer für diese Immobilie gefunden, bevor eine Abwärtsspirale mit bedrohlichen Auswirkungen für den umliegenden Einzelhandel eingesetzt habe. In vielen anderen Fällen zögere sich eine neue Bebauung wegen komplizierter Eigentumsverhältnisse und langwieriger Suche nach Investoren heraus.

Auch in Stade dauerte es Jahre, bis die Fläche wieder genutzt wurde: Nachdem 2012 die Matrix Developement GmbH das leer stehende Gebäude aufkaufte, wurde ein neuer Bebauungsplan mit der Stadt ausgehandelt. Es begann eine langwierige Planungsphase und auch der Bau des Kaufhauses zog sich. Matrix investierte nach eigenen Angaben mehr als 30 Millionen Euro in das Objekt. Im März 2018 eröffnete dann kein klassisches Einkaufszentrum, sondern eine zweistöckige Ladenzeile. Im Jahr darauf ging das dazugehörige Parkhaus mit etwa 600 Plätzen in Betrieb. Die Stadt steckte 13 Millionen Euro hinein.

„Es fehlte eine städtebauliche Verbindung zur Innenstadt“, begründet Matrix-Geschäftsführer Martin Schaer die Entscheidung, hier kein klassisches Einkaufszentrum zu bauen. Der neue Komplex nehme vielmehr mit „den nach außen geöffneten Läden die vorhandene kleinteilige Struktur der historischen Stader Innenstadt auf“, sagt Schaer.

Den Unterschied zu einer Shopping-Mall erkennt man tatsächlich aber erst auf den zweiten Blick. Der größte Unterschied: Es gibt keinen zentralen Eingang. Die Geschäfte reihen sich auf zwei Ebenen nebeneinander, welche über eine große Freitreppe verbunden sind. Der Komplex sticht in der Altstadt durch seine kantige Bauweise zwar hervor, wirkt dabei aber nicht klotzig. „Es war unser Ziel, auch die Aufenthaltsqualität auf dem Vorplatz zu verbessern“, sagt Martin Schaer.

Marktanalysen, die Matrix zuvor vornahm, hätten beispielsweise gezeigt, dass es einen großen Bedarf an Lebensmittelgeschäften in der Innenstadt gebe. Bei der Auswahl der 13 Ladeneinheiten mit insgesamt 8.000 Quadratmetern Verkaufsfläche habe man auch auf den Bedarf und die Ergänzung zu bestehendem Einzelhandel geachtet.

Abgesehen vom Bio-Café, was einen Unverpackt-Laden beherbergt und viele Gäste auf der Terrasse anlockt, verkaufen am Neuen Pferdemarkt ausschließlich große Ketten wie Rewe, Budnikows­ki und TK Maxx. Dabei sollte der neue Shopping-Komplex auch dem lokalen Einzelhandel zugute kommen, so zumindest der Plan. „Die Ansiedlung von Magneten“ sei zentral für das Überleben der örtlichen kleinen Geschäfte, erklärt Stadtbaurat Kolk. Diese lockten mehr Kunden nach Stade. „Eine absolute Win-Win-Situation“, findet Kolk. Die Einzelhändler*innen hätten das Vorhaben unterstützt.

„Für eine erfolgreiche Entwicklung von Innenstädten ist es ein großes Problem, wenn in zentraler Lage eine Immobilie mit dem Charme der Siebzigerjahre verfällt“

Lars Kolk, parteiloser Baurat von Stade

„Einbezogen wurden wir leider nicht“, sagt hingegen Heide Koller-Duwe. Sie ist Inhaberin der Buchhandlung Friedrich Schaumberg, die sich seit 1840 in der Stader Altstadt befindet – nur wenige Gehminuten vom alten Hertie-Standort entfernt. Der „Schandfleck“ habe zu einer Durststrecke für die Einzelhändler geführt, erzählt sie. Alle seien zwar froh gewesen, als der neue Komplex endlich öffnete, doch so wie früher sei es nicht. „Hertie hat damals mehr Leute angezogen“, sagt Koller-Duwe. Sie könne sich modernere Formen eines Kaufhauses vorstellen, in dem es „den Kunden auch wieder schön gemacht wird“.

Dennoch sei es in Stade besser um den lokalen Einzelhandel bestellt als anderswo. „Touristen freuen sich darüber, dass es in Stade noch kleine Läden gibt“, sagt Koller-Duwe. „Doch wenn man hier jahrzehntelang in der Stadt sitzt, sieht man schon eine gegensätzliche Entwicklung“, meint sie.

Die von einem Wall umgebene Altstadt mit Fachwerkhäusern und Binnenhafen ist auch nach dem Aus der großen Hertie-Filiale nicht verödet. „Wir haben eine Steigerung von zwölf Prozent der Kaufkraftbindungsquote zwischen 2012 und 2020 feststellen können“, sagt Stadtbaurat Kolk. Sie liege nun bei 157 Prozent. Diese Quote zeigt, ob die in einer Region vorhandene Kaufkraft lokal genutzt wird oder in andere Regionen abfließt. Im Fall von Stade lässt sich erkennen, dass sogar mehr Menschen als nur die Einwohner*innen im Einzelhandel kaufen. „Wir haben schließlich auch einen Versorgungsauftrag für die umliegenden Dörfer“, erklärt Kolk. Dass die Quote trotz des massiven Ausbaus des Onlinehandels und der Nähe zu Hamburg gestiegen ist, kann ein Indiz für die Aufwertung der Altstadt sein.

Heide Koller-Duwe ist in der Coronakrise von ihren Kunden unterstützt worden. Ohne die wäre es schwierig geworden für das Traditionsgeschäft. Es sei an der Zeit, über die Rolle des Einzelhandels nachzudenken, meint die Buchhändlerin. „Vielleicht können wir das positiv aus der Krise mitnehmen.“

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