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„Raumfahrt liegt noch im bezahlbaren Bereich“

Bremen als führender Standort der Raumfahrtindustrie könnte durchaus Teil der ersten Reise zum Mars sein, sagt Martin Sippel vom Bremer DLR-Institut für Raumfahrtsysteme

InterviewTeresa Wolny

taz: Herr Sippel, warum ist Bremen als Raumfahrtstandort so attraktiv?

Martin Sippel: Das hat sich historisch entwickelt. Bremen war von Anfang an gut vernetzt, denn schon seit langem gibt es hier die Luftfahrtindustrie, die am Beginn der Raumfahrtindustrie stand. In Bremen sitzen mit Airbus Defence and Space und dem anderen Konzernableger ArianeGroup sowie mit OHB die beiden führenden Unternehmen, die Deutschland in der Raumfahrt vertreten. Darüber hinaus wird am ZARM der Uni und am DLR-Institut für Raumfahrtsysteme in diesem Bereich viel geforscht. Es ist sicher auch diese Kombination zwischen der industriellen Konzentration und der Forschungsseite, die Bremen zur Raumfahrthauptstadt gemacht hat.

Hat die Bremer Raumfahrtindustrie einen Schwerpunkt?

Sie hat mehrere. Zum einen wird die Oberstufe der Ariane, der europäischen Trägerrakete, in Bremen entwickelt, montiert und von hier aus direkt zum europäischen Weltraumbahnhof in Kourou nach Südamerika verschifft. Airbus baut außerdem am European Service Modul (ESM), dem Antriebsmodul für die Orion-Kapsel der NASA. Damit sollen im Zuge der Artemis-Mission bald wieder Menschen zum Mond gebracht werden. Dann gibt es den Satellitenbereich, in dem etwa Kommunikations- und Erdbeobachtungssatelliten entwickelt werden. Nicht zu vergessen ist auch die bemannte Raumfahrt: Das Columbus-Modul, also das europäische Wissenschaftslabor an der internationalen Raumstation (ISS), wurde ebenfalls in Bremen ausgestattet.

Wird sich mit der nächsten Mondlandung auch in der Industrie der Fokus noch mehr in Richtung Menschen im Weltraum verschieben?

Das ist schwer zu sagen. Aktuell findet bemannte Raumfahrt vor allem auf der ISS und damit nur etwa 400 Kilometer über der Erdoberfläche statt. Die ISS ist also sehr nah, bei schönem Wetter kann man sie von der Erde aus sehen, als einen hellen Punkt am Abendhimmel, der sich sehr schnell fortbewegt.

Warum ist sie so nah?

Der niedrige Erdorbit hat auch den Vorteil, dass die Astronaut:innen im Notfall schnell wieder auf die Erde zurückkehren können. Jenseits der ISS ist in letzter Zeit vor allem in den USA der Ansatz vorangetrieben worden, tiefer in den Weltraum und eines Tages bis zum Mars vorzudringen. Da spielt auch das enorme Engagement von Elon Musk und seinem Unternehmen SpaceX eine Rolle.

Im Mai brachte die NASA in der Dragon-Kapsel von SpaceX zwei Astronauten zur ISS. Der Flug gilt als riesiger Schritt in der kommerziellen Raumfahrt. Hat das auch Auswirkungen auf Bremer Unternehmen?

Diese neuen, stärker kommerziellen Strukturen der Raumfahrtindustrie entstehen derzeit überwiegend in den USA. Der Markt für die Raumfahrt in Europa ist kleiner und die europäischen Staaten sind weniger bereit, so große Projekte zu entwickeln, wie es in den USA oder auch in China der Fall ist. Das begrenzt wiederum das Interesse, mit nennenswertem Eigenkapital in Raumfahrt zu investieren. Für kleinere Entwicklungen gibt es auch in Europa jetzt schon private Investitionen. Wir befinden uns gerade in einer Umbruchphase. Das Interesse für den SpaceX-Flug war auch in Europa groß. Es kann durchaus sein, dass dadurch etwas Neues entsteht.

Wie lassen sich die hohen Ausgaben für die Raumfahrt rechtfertigen?

Jeder öffentlich finanzierte Technologie- und Forschungsbereich muss sich dafür rechtfertigen, was dabei herauskommt. Die sehr berechtigte Frage ist hier also: Was bringt Raumfahrt den Menschen zurück? Aspekte, die dabei heute nur noch wenig wahrgenommen werden, sind etwa die Kommunikation oder die meteorologische Erdbeobachtung durch Satelliten. Dieser Markt ist inzwischen ohnehin kommerziell und trägt sich selbst. Wichtig ist darüber hinaus, was bei der Bevölkerung wie ankommt. Das ist in erster Linie die bemannte Raumfahrt, die immer noch Begeisterung hervorruft. Auch für die tiefer in den Weltraum vordringenden interplanetaren Missionen gibt es eine große Faszination.

Trotzdem kostet die Raumfahrt sehr viel Geld.

Bezüglich der Masse, die transportiert wird, mag Raumfahrt teuer sein. Für das, was sie zurückgibt, kostet sie aber gar nicht so viel. Und da vieles auch mit kleineren Objekten möglich ist, liegt Raumfahrt immer noch im bezahlbaren Bereich – auch im Vergleich mit anderen Disziplinen, wie zum Beispiel der Industrieforschung zum Fahrzeugbau, wo wir oft über deutlich höhere Beträge reden.

Martin Sippel55, ist Abteilungsleiter Systemanalyse Raumtransport (SART) am DLR-Institut für Raumfahrtsysteme in Bremen.

Wie umweltverträglich ist Raumfahrt eigentlich?

Im Vergleich zur Luftfahrt ist Raumfahrt noch ein sehr kleiner Bereich mit entsprechend geringem Umwelteinfluss. Aber auch hier gibt es das Ziel und heute auch die technischen Möglichkeiten, sie umweltfreundlicher zu machen. Das passiert zum einen im Bereich der Treibstoffe. Mit einem Elektroantrieb kann man keine Rakete ins All schießen, mit Sauerstoff und Wasserstoff dagegen schon und bei dieser Verbrennung entsteht nur Wasserdampf. Zum anderen wird daran gearbeitet, Raketenstufen wiederzuverwenden.

Und wann landen wir auf dem Mars?

Ich würde sagen frühestens in den 2030er-Jahren, optimistisch gesprochen. Nach heutigem Stand der Technik dauert die Reise drei bis vier Monate, das ist einfach riskant für Menschen und muss gut beherrscht werden.

Wird Bremen an dieser Reise beteiligt sein?

Wenn SpaceX, die fast alles selber machen, die Ersten auf dem Mars sind, eher nicht. Anders wäre es bei einem Flug mit internationaler Zusammenarbeit. Mit dem ESM und der Beteiligung an der Artemis-Mission zum Mond ist zumindest schon mal eine gute Vorarbeit geleistet, dass Bremen bei einer Marsmission involviert sein kann. Auch Projekte etwa zum Gemüseanbau im Weltraum, wie am DLR erforscht, sind wichtige vorbereitende Schritte. Wenn Pflanzen in einem geschlossenen Lebenszyklus unter Weltraumbedingungen wachsen, verringert das auch die Masse, die transportiert werden muss. Diese Themen sind also durchaus genauso ernst zu nehmen wie die Entwicklung von Raketenstufen.

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