heute in hamburg: „Wir sprechen offen über kulturelle Unterschiede“
Alena Thiem35, ist Projektmitarbeiterin der ersten Stunde bei der Stiftung Wohnbrücke Hamburg.
Interview Michael Wendland
taz: Frau Thiem, was genau tut die Stiftung Wohnbrücke Hamburg?
Alena Thiem: Seit Projektbeginn haben wir über 850 Ehrenamtliche zu Wohnungslotsen geschult. Sie kommen zu uns, um Haushalte mit Fluchthintergrund zu begleiten. Vermieter:innen machen wir das Angebot, ihnen passende Mietinteressenten vorzustellen. Wenn wir ein Wohnungsangebot zur Vermittlung erhalten, schauen wir, für welchen Haushalt es infrage kommt. Wir und unsere ehrenamtlichen Wohnungslotsen begleiten dann bei Wohnungsbesichtigungen die Interessenten und bleiben im laufenden Mietverhältnis Ansprechpartner.
Wie gestaltet sich Ihre Arbeit in der Pandemie, etwa bei den Wohnungsbesichtigungen?
Wir managen nun öfter aus der Ferne und erledigen mehr per Mail und Telefon. Unsere Erreichbarkeit konnten wir glücklicherweise aufrechterhalten. Die Lotsenschulungen haben wir virtuell weitergeführt. Wir achten bei unseren Besichtigungen besonders auf die Hygienemaßnahmen und besichtigen die Wohnungen in kleineren Gruppen. Alle Beteiligten tragen Masken und bei Bedarf Handschuhe. Besprechungen finden möglichst im Freien statt.
Die Wohnbrücke feiert im November ihr fünfjähriges Bestehen. Wie viele Geflüchtete haben Sie bisher in Wohnungen vermittelt?
Im Mai zählten wir über 2.000. Derzeit leben aber noch mehr als 14.00 Zugewanderte mit der Berechtigung, eigenen Wohnraum zu beziehen, in Hamburger Unterkünften. Daher ist die Wohnbrücke immer auf der Suche nach Wohnungen aller Größen.
Auf welche Probleme treffen Geflüchtete bei der Wohnungssuche?
In Hamburg ist das Wohnungsangebot besonders knapp. Unsere Wohnungssuchenden müssen sich mit denen für sie ungewohnten Strukturen vertraut machen, etwa dem Bezug von Sozialleistungen. Oft beginnen sie erst Deutsch zu lernen. Wohnen ist außerdem nicht überall auf der Welt gleich. Daher können viele Geflüchtete keine Mieterfahrung vorweisen.
Wie überzeugen Sie in diesen Fällen Vermieter:innen?
Die Wohnbrücke versucht, zu sensibilisieren und spricht mit Vermieter:innen offen über kulturelle Unterschiede. So können wir Vorbehalte aus dem Weg räumen.
Haben sich manche Probleme durch Corona verstärkt?
Wohnungsanbieter, vor allem Genossenschaften, verzeichnen weniger Auszüge. Der Wohnungsmarkt hat sich also noch mehr verschlechtert. Manche Vermieter:innen haben die Angebote pausiert. Sie warten ab, um die Lage abschätzen zu können. Wir erhalten aber erfreulicherweise weiterhin Wohnungsangebote.
Treffen die Geflüchteten auf Vorurteile?
Unsere Gesellschaft ist nicht vorurteilsfrei. Wir beobachten schon, dass Geflüchtete auf dem Wohnungsmarkt damit konfrontiert werden. Aber in dem Moment, in dem wir Begegnungen ermöglichen, entsteht ein Gespräch und es können Vorurteile abgebaut werden.
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