: Bewahrer der Erinnerung
Als „Knotenpunkt und Stern der antifaschistischen Bewegung und Vernetzung in Bremen“, wird Raimund Gaebelein gewürdigt. Am vergangenen Sonntag ist er gestorben
Von Ralf Lorenzen
Eine der letzten Gedenkfeiern, die in diesem erinnerungsreichen Jahr 75 nach der Befreiung vom Nationalsozialismus noch mit Anwesenden stattfinden konnte, war der Jahrestag der Deportation von fast 300 Sinti und Roma nach Auschwitz-Birkenau am 8. März 1943. Zu denen, die vor der Gedenktafel am Kulturzentrum Schlachthof die Namen der Deportierten verlasen, gehörte auch Raimund Gaebelein. Viele Jahre lang waren er und seine Mitstreiter*innen der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ die einzigen gewesen, die hier bei Wind und Wetter einen Kranz niederlegten. Als sich vor drei Jahren ein Arbeitskreis gründete, um der Erinnerung an die NS-Opfer unter den Sinti und Roma in Bremen mehr Raum zu geben, war Gaebelein selbstverständlich dabei.
Nur ein minimaler Ausschnitt des langjährigen Wirkens von Gaebelein, aber ypisch für ihn. „Sein Engagement für die öffentliche Erinnerung und Ehrung von Opfern des NS-Gewaltregimes in den Jahren 1933 – 45 haben dazu beigetragen, dass diesen Menschen, ihrem Wirken und ihrem Schicksal, im öffentlichen und politischen Bewusstsein unserer Stadt – und darüber hinaus – ein angemessener Platz gegeben wird“, hieß es 2015 in der Begründung für die Verleihung des Franco-Paselli-Friedenspreises der internationalen Friedensschule Bremen an ihn..
Der 1947 geborene Gaebelein war bereits als Lehramtsstudent in seiner Geburtsstadt Marburg politisch aktiv. Zu einer Einstellung in den regulären Schuldienst kam es nie, da er auf einer schwarzen Liste des Verfassungsschutzes landete und nach dem Referendariat nicht übernommen wurde. Sozial und pädagogisch tätig war er dennoch sein Leben lang, erst als Leiter eines Obdachlosenasyls im nordirischen Derry, später als Sozialbetreuer und Lehrer in der Wohnungshilfe und Berufsbegleitung und bis zuletzt als Sprachlehrer für Geflüchtete.
Dabei gingen Arbeit und Engagement bei ihm immer Hand in Hand. Er erforschte verschüttete Biografien, vermittelte Zeitzeugen in die Schulen, stellte internationale Verbindungen her, schrieb Bücher und Artikel, organisierte Ausstellungen und antifaschistische Stadtrundgänge. „Er war der Knotenpunkt und Stern der antifaschistischen Bewegung und Vernetzung in Bremen“, schreibt die Partei Die Linke in ihrem Nachruf.
Zahlreiche Erinnerungsorte in Bremen sind mit seinem Wirken verknüpft, besonders aber der Schützenhof in Gröpelingen, einem Außenlager des KZ Neuengamme. Dorthin wurden 1944 zahlreiche Menschen aus dem flämischen Meensel-Kiezegem als Zwangsarbeiter verschleppt; bis auf wenige Ausnahmen wurden sie ermordet. Gaebelein organisierte seit Jahren Treffen mit den Angehörigen und schrieb über seine Nachforschungen das Buch „Begegnung ohne Rückkehr“.
Für den leidenschaftlichen Internationalisten war die politische Arbeit immer auch im Lokalen verankert. Seit 1991 leitete er als Nachfolger von Willy Hundertmark die Bremer Landesgruppe der Vereinigung der Verfolgten des Nazisregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten und für die Linken saß er seit 2003 im Beirat Gröpelingen, zuletzt als stellvertretender Beiratssprecher.
Wie viele andere machte es ihn traurig, dass die Öffentlichkeit zu den diesjährigen Gedenkfeiern meist nur virtuell Zugang hatte. In einer Videobotschaft zur Gedenkstunde am 8. Mai am Denkort Bunker Valentin erinnerte Gaebelein an die politisch verfolgten Opfer der NS-Zeit. Den virtuellen Raum nutze er auch sonst. Es gab wohl kaum jemanden mit einem größeren E-Mail-Verteiler als Ray, wie er auch genannt wurde. Über den versorgte er seine antiffschistische Community vor allem mit Infos zum Kampf gegen Rechts.
In den frühen Morgenstunden des 28. Juni ist Raimund Gaebelein gestorben. „Wir werden diesen kleinen und doch großen Mann, seine kluge, stille, sanfte, liebevolle und freundliche Art sehr vermissen“, spricht die KZ-Gedenkstätte Neuengamme in ihrem Nachruf für viele. „Unsere Gedanken sind bei seinen Lieben, vor allem bei seiner Frau Marion Bonk.“
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