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Drohender Systemausfall

Nach dem ersten torlosen Relegationsspiel scheint sich die Elf von Werder Bremen zu fragen, was der Trainer von ihr will. Aber das ist nicht das einzige Problem vor Spiel 2 gegen den 1. FC Heidenheim

Aus Bremen Ralf Lorenzen

Als „Geschenk“ hatte Trainer Florian Kohfeldt diese Partie vorher bezeichnet, weil die Lage noch vor wenigen Tagen fast aussichtslos schien. Die Nachrufe waren schon verfasst, bevor seine Mannschaft den 1. FC Köln mit 6:1 besiegte und aufgrund der Düsseldorfer Niederlage bei Union Berlin zu zwei unverhofften Entscheidungsspielen gegen den Dritten der Zweiten Liga kam. Da der 1. FC Heidenheim das letzte Liga-Spiel bei Aufsteiger Arminia Bielefeld 0:3 verloren hatte, ging Werder als hoher Favorit ins Spiel.

Diese neue Rolle schien die Grün-Weißen von Beginn an zu lähmen. „Kontrolle“, rief Kohfeldt ein paar Mal ins Spiel, meinte damit aber wohl nicht, sich aufgrund fehlender Anspielstationen den Ball in der eigenen Abwehrkette hin und her zu spielen. Auch im weiteren Spielverlauf gelang Werder kaum mal ein produktiver Spielzug über mehrere Stationen – schon gar keiner, der in gefährliche Regionen geführt hätte, wo die gegen Köln zu neuer Stärke erblühten Yuya Osako, Milot Rashica und Niclas Füllkrug ohnehin abgemeldet waren.

Wurde doch einmal so etwas wie Tempo aufgenommen, landete spätestens der dritte Pass im Nirwana oder beim Gegner. Der schnürte den Bremern mit einfachen Mitteln die Luft ab: Aggressivität, Manndeckung, gute Staffelung, Mut. Zweitligamittel eben, erstklassig befeuert von den Tröten und Trommeln des Mini-Anhangs, die den für seine Lautstärke bekannten Bremer Support diesmal übertönten.

Kohfeldt hatte vorher bei relegationserfahrenen Kollegen nachgefragt und nahm die Einschätzung mit, dass nicht taktische Dinge entscheiden. „Sondern Mentalität, Intensität und die Bereitschaft, dem Druck standzuhalten.“ Eine kleine Szene am Rande zeigte, dass genau diese Attribute der Mannschaft fehlten. Maximilian Eggestein erhielt um die 70. Minute herum den Ball im eigenen Drittel an der Außenlinie und wurde sofort unter Druck gesetzt. Da er keine Chance sah, den Ball zu einem Mitspieler weiterzuspielen, kickte er ihn ins Seitenaus. Freiwillig! Und statt die Kollegen dafür zusammenzustauchen, dass sie ihn nicht unterstützt hatten, machte er eine hilflose Geste.

Entgegen seiner Einschätzung vor dem Spiel ging Kohfeldt nachher besonders auf die taktischen Defizite ein, um die schwache Leistung zu beschreiben, und nicht auf die Mentalität. Auf die fehlende Staffelung und andere vorher abgesprochene Bewegungsmuster. „Ich kann nicht bewerten, ob unser Plan nicht funktioniert hat, weil wir gar nicht hereingekommen sind“, sagte er. Das passte zu dem Eindruck, dass seine Spieler über weite Strecken damit beschäftigt schienen zu überlegen, was der Trainer von ihnen wolle. Wie schon oft in dieser missratenen Saison war die Mannschaft nicht in der Lage, aus sich heraus Lösungen zu finden.

„Ich kann nicht bewerten, ob unser Plan nicht funktioniert hat“

Florian Kohfeldt, Werder-Coach

In der Schlussphase, als auch noch Kapitän Niklas Moisander die Gelb-Rote Karte sah, waren die immer selbstbewusster werdenden Heidenheimer dem Siegtreffer näher als die ängstlichen Bremer. Dass dieser nicht fiel, ist das einzig Positive, das die Bremer aus dem Spiel mitnehmen können. Damit reicht ihnen im Rückspiel bereits ein Unentschieden, in dem Tore fallen, zum Klassenerhalt. Dass überhaupt solche Rechenspiele nötig sind, spricht für Nervenkrieg bis zum Schluss.

Um die oft gehemmt wirkende Mannschaft aufzuwecken, wurde schon in der Vergangenheit viel versucht. Vom Trainer sowieso, dann kam ein Motivationscoach dazu und schließlich die Anfeuerung durch die Betreuer während des Spiels. Vergessen wurde dabei möglicherweise, dass sich Gruppenprozesse nicht von außen verordnen lassen, sondern die Eigeninitiative der Gruppe benötigen – Freiräume für Reibungen, Konflikte und selbstgemachte Lösungen.

In Bremens Nachbarstadt Hannover erzählt man sich immer noch gern von der legendären Kabine 2 bei Zeugwart Mille Gorgas, in dem der harte Kern des Teams nach der Sauna, nur mit Handtüchern bekleidet, bei Bockwurst und Bier fachsimpelte, Unsinn machte und dabei quasi nebenbei einen Mannschaftsgeist beschwor. Es ist die Königsdisziplin jeder Führungskraft, das richtige Verhältnis von Nähe und Distanz, Kontrolle und Freiraum, Plan und Chaos zu finden. Florian Kohfeldt ist ein guter Trainer – vor dem Spiel in Heidenheim sollte er seine Mannschaft vielleicht mal einen Tag allein im Hotel lassen. Sonst droht der totale Systemausfall.

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