: Die Stadt will Häuser am Deich abreißen
Der Senat will sein Vorkaufsrecht nutzen, um sich Flächen für in Zukunft notwendigen Hochwasserschutz zu sichern – zum Missfallen verkaufswilliger Eigentümer*innen
Von Laura Strübbe
Dirk Barthel will verhindern, dass der Senat Hunderte Häuser an den Binnendeichen der Dove-Elbe abreißt. Dadurch würde eine jahrhundertealte Kulturlandschaft zerstört, befürchtet Barthel. Die Petition gegen den Abriss, die er an die Bürgerschaft gerichtet hat, haben bisher 33 Leute unterzeichnet.
Barthel ist selbst Deichanwohner. Sein Haus, das im vorigen Jahrhundert als Gasthof einst der Stolz Alt-Allermöhes war, steht hinter der zweiten Deichlinie und damit gut sieben Kilometer von der ersten entfernt. Warum es nun abgerissen werden soll, ist ihm unbegreiflich. „Hier kommt gar kein Wasser hin“, sagt er.
Damit hat Barthel fürs Erste vielleicht recht, doch könnte es in den nächsten Jahren schon ganz anders aussehen. Die Dove-Elbe, ein 18 Kilometer langer Nebenarm, ist 1952 mit dem Bau der Tatenberger Schleuse von der Tideelbe abgetrennt worden. Um die Folgen der wiederholten Elbvertiefungen zu begrenzen, prüft der Senat jetzt, die Dove-Elbe wieder zu öffnen und komplett dem Einfluss der Tide auszusetzen.
Im Rahmen des Forums Tideelbe, dem Vertreter der Umwelt- und Wirtschaftsverbände sowie der Verwaltung angehören, wird zurzeit geprüft, ob ein Tide-Anschluss sinnvoll, technisch und rechtlich machbar sowie ökologisch vertretbar ist – so schildert Björn Marzahn von der Behörde für Umwelt und Energie den aktuellen Planungsstand. Als Folge einer solchen Öffnung wäre auch an den Ufern der Dove-Elbe mit starken Hochwassern zu rechnen, sodass die bisherigen Deiche nicht mehr ausreichen würden.
Für diesen Fall will der Senat vorsorgen, weshalb er für jedes Haus, das einer Deicherhöhung im Wege stehen könnte, sein gesetzlich verbrieftes Vorkaufsrecht ausübt. Denn Deiche fressen Platz. Für jeden Meter, den sie in die Höhe wachsen, müssen sie um ein Vielfaches breiter werden. Das Vorkaufsrecht gelte für alle Flächen, „die für Zwecke des Hochwasserschutzes gegenwärtig oder zukünftig benötigt werden“, sagt der Pressesprecher der Finanzbehörde Claas Ricker.
Für Barthel war das eine böse Überraschung. Er befürchtet nun, sein Haus am Allermöher Deich 95 unter Wert verkaufen zu müssen. Denn die Stadt orientiert sich an einem Verkehrswertgutachten, mit dem der tatsächliche Marktwert ermittelt werden soll und das gegenwärtig erstellt wird. Liegt dieser Verkehrswert um mehr als 19 Prozent unter dem Kaufangebot, das Barthel von einem privaten Interessenten erhalten hat, zahlt die Stadt nur diesen geringeren Preis für die Immobilie.
Dazu kommt, dass der Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) nicht das komplette Grundstück kaufen wird, sondern nur den Teil, den die Stadt für eine mögliche Deicherhöhung benötigen würde, fachsprachlich ausgedrückt: den Deichgrund. Auf einer geringen Restfläche bleibt der*die Eigentümer*in sitzen und muss dann sehen, wie diese an den Mann / die Frau zu bringen ist.
Wie viele Grundstücke und Immobilien die Sicherung der zweiten Deichlinie hamburgweit im Einzelnen betreffen könnte, darüber kann die Umweltbehörde momentan keine Auskunft geben. Barthel hingegen hat sich die aktuellen Grundstückskarten angesehen und ist überzeugt: „Einmal über den Daumen gepeilt sind 300 Häuser im Deichgrund von Dove- und Gose-Elbe schnell zusammen.“
Eines ist jedoch sicher, Enteignungen wird es nicht geben. „Die Stadt macht von ihrem Vorkaufsrecht nur Gebrauch, wenn ein Verkauf schon aussteht“, versichert Finanzbehördensprecher Ricker.
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