piwik no script img

Gequält statt gepflegt

In einem Pflegeheim in Celle wurden Menschen schmerzhaft im Bett fixiert. Die Pflegekammer ist schockiert, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Mitarbeiter

„Angehörige schweigen, weil sie fürchten, dass die Qualität der Versorgung sonst noch weiter sinkt“

Tino Schaft, Pflegekammer Niedersachsen

Von Harff-Peter Schönherr

Ein Seniorenpflegeheim sollte ein Ort der Achtsamkeit sein, der Sensibilität. Mitarbeiter des Heims Rolandstraße der Pflegeheime Muus GmbH in Celle sahen das offenbar anders. Die Vorwürfe gegen sie, gestützt auf Fotos und Chat-Protokolle von Mitarbeitern, reichen von unrechtmäßiger, schmerzhafter Fixierung im Bett bis zu mangelhafter Wundversorgung, langem Liegen ohne Umlagerung, teils in Kot und Urin.

Sie sei „schwer erschüttert“, sagt Nadya Klarmann, die Präsidentin der Niedersächsischen Pflegekammer. „Solche Missstände sind nicht zu akzeptieren. Wenn wir verhindern wollen, dass es so weitergeht, müssen wir endlich handeln.“ Ihre Pflegekammer ist die größte Deutschlands, über 90.000 Pflegefachpersonen sind in ihr organisiert.

Klarmann war es auch, die alles ins Rollen brachte; ihr wurde das belastende Material zugespielt. Sie schaltete das Niedersächsische Sozialministerium ein und die Heimaufsicht Celle.

Die Staatsanwaltschaft Lüneburg, Zweigstelle Celle, führt schon seit Mai ein Ermittlungsverfahren gegen drei ehemalige Mitarbeiter des Heims wegen des „Verdachts der Anfertigung von Film- bzw. Bildaufnahmen von Bewohnern des Pflegeheimes in zwei Fällen, die deren höchstpersönlichen Lebensbereich verletzen sowie deren Weitergabe an Dritte“. Auf taz-Anfrage fügt Staatsanwältin Stefanie Vogler hinzu: „Dazugekommen ist jüngst der Verdacht der Freiheitsberaubung, der Körperverletzung und der Misshandlung. Derzeit prüfen wir die Ausweitung der Ermittlungen.“

Auf der sanft hellgrünen Website der Pflegeheime Muus GmbH klingt dagegen nach wie vor alles nach Idylle. „In den Pflegeheimen Muus leben wir Wertschätzung“, heißt es da. „Jeden Tag. Das ist unser Geschäft. Wir wollen, dass es Ihnen gut geht.“ Von „unseren täglich gelebten Wertvorstellungen“ ist da die Rede: „Respekt, Menschlichkeit und tiefes Vertrauen“. Seit 2014 gehört das Haus Rolandstraße, rund 60 Plätze groß, zur Muus-Gruppe.

Geschäftsführerin Claudia Muus weiß seit Mitte Mai vom inakzeptablen Umgang des Pflegepersonals mit den Heimbewohnern. „Entsetzt über die Missstände“ habe sie noch am gleichen Tag Strafanzeige gegen drei Mitarbeiter gestellt, schreibt sie auf taz-Anfage. Sie habe die drei Mitarbeiter fristlos entlassen und die Angehörigen der Betroffenen über „die Situation“ informiert. Ein von ihr angeforderter unabhängiger Pflegesachverständiger werde das Heim analysieren, um „eventuelle weitere Missstände“ auszuschließen.

Klar, in der Pflege herrscht oft Personalnot. Die Bezahlung ist meistens schlecht, bei hoher physischer und psychischer Belastung. Auch Nadya Klarmann beschreibt die Bedingungen, unter denen Pflegefachpersonen ihren Beruf ausüben, als „teilweise unhaltbar“. Aber das rechtfertige natürlich keine Zustände wie im Haus Rolandstraße.

Auch die für Juli anstehende Versammlung der Pflegekammer Niedersachsen wird sich mit den schlimmen Vorgängen in dem Heim in Celle beschäftigen, so Tino Schaft, Sprecher der Kammer: „Das wird da hochpräsent sein.“ Auch er hat die Fotos gesehen, auf denen Heim-Mitarbeiter das Geschehen dokumentiert haben. „Unentschuldbar“, sagt er dazu. Seine Betroffenheit ist ihm anzumerken.

Wichtig sei es jetzt, eine „neutrale Anlaufstelle“ zu schaffen, die sicherstellt, dass zukünftig größere Transparenz herrscht. „In der Pflege Beschäftigte haben ja oft Angst, ihren Arbeitsplatz zu gefährden, wenn sie Missstände aufdecken. Und Angehörige schweigen, weil sie fürchten, dass die Qualität der Versorgung sonst noch weiter sinkt.“

Besonders fatal: Die Kontrolle von Heimen durch kommunale Stellen war durch Corona lange ausgesetzt. „Dringend erforderlich“ dabei sei, so Klarmann, die Begleitung der Kontrollen durch Pflegefachpersonen. „Das trifft bislang in den seltensten Fällen zu.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen