Martial-Arts-Spektakel von Wilson Yips: Showdown in Chinatown

In Wilson Yips virtuos choreografiertem Martial-Arts-Spektakel „Ip Man 4: The Finale“ treten zwei Altmeister der Kampfkunst gegeneinander an.

Ein Mann im schwarzen Kampfanzug kniet auf einem Mann in einem weißen Kampfanzug. Sie sind auf einer Bühne, vor der im Hintergrund mehrere Männer im weißen Kampfanzug stehen

Donnie Yen als Yip Man oben gegen einen starken Gegner Foto: Koch Films

Vermutlich gäbe es die Serie der Filme über Ip Man (in deutschen Umschriften meist: Yip Man), die mit dem vierten nun zum Abschluss kommt, nicht ohne des Meisters berühmtesten Schüler: Bruce Lee. Lee, in den USA geboren, in Hongkong aufgewachsen, hatte bei Ip Man den chinesischen Kampfkunststil des Wing Chun studiert – zur Filmikone wurde er dann allerdings mit einer Mischung unterschiedlicher Künste, die den heute in den USA dominierenden Mixed Martial Arts den Weg bereiten sollte.

Wing Chun ist in erster Linie eine Verteidigungskunst, und sie beginnt nicht mit Ip Man, der 1893 geboren wurde und 1972 starb, nur ein Jahr vor seinem fast fünfzig Jahre jüngeren Schüler Bruce Lee. Sie kam, soweit man das rekonstruieren kann, aus südchinesischen Klöstern und wurde dort nicht nur von Meistern, sondern auch von Meisterinnen ausgeübt und gelehrt.

In Südchina lebte und lehrte auch Ip Man, genauer gesagt in dem Städtchen Foshan, heute eine 7-Millionen-Stadt, in den Dreißigern noch eine eher ländliche Ansiedlung, die in der Rekonstruktion des ersten Ip-Man-Films so nostalgisch-glamourös daherkommt, wie die Filmserie überhaupt das Überlebensgroße bevorzugt. Und manches, etwa das uneheliche Kind Ip Mans, auch einfach verschweigt.

Gegen die japanische Armee

Der schon vor zwölf Jahren entstandene erste Film der Reihe erzählt von den Anfängen von Ip Mans Schule in Foshan. Von Anfang an wird der Verteidigungscharakter des Wing Chun ins Antiimperiale übersetzt. Nicht nur muss sich Yip Man gleich zu Beginn eines kampfstarken Schlägertrupps aus dem Norden Chinas erwehren. Viel drastischer noch wird Wing Chun bald darauf als Widerstands- und Resistance-Kunst in Szene gesetzt. Nämlich im Einsatz gegen die japanische Armee, die im Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg Teile Chinas, darunter auch Fo­shan, besetzte.

Zu den vielen Freiheiten, die sich das Biopic nimmt, gehört die Zuspitzung des Widerstandskampfs auf den Fight Ip Mans mit Karatekämpfern im Dutzend und einem japanischen General. Natürlich trägt in dieser Fiktion der biegsame Bambus des Wing Chun den Sieg über das aggressive Karate davon.

Im zweiten Teil wird dann von der Durchsetzung des Underdogs Ip Man und seiner Schule in Hongkong erzählt, der dritte stellte die Auseinandersetzung mit einer Gangstertruppe in Diensten eines Immobilienhais ins Zentrum. In diesem dritten Teil spielte erstmals auch Bruce Lee (Danny Kwok-Kwan Chan) eine größere Rolle.

„Ip Man 4: The Finale“. Regie: Wilson Yip. Mit Donnie Yen, Scott Adkins u. a. Hongkong/ China 2019, 105 Min.

Im vierten Teil wird die ursprünglich nicht unbedingt auf so viele Fortsetzungen angelegte Geschichte nun bis zu ihrem Finale erzählt: dem Tod Ip Mans. Der Meister wird selbstverständlich wiederum von Superstar Donnie Yen gespielt, einem wahren Meister des Wing Chun, der als Schauspieler sicher ein etwas weniger biegsamer Bambus ist denn als Kämpfer, aber sich mit stoischer Miene jeder Herausforderung stellt. Regie führt wie in den anderen Teilen Wilson Yip, der seine Karriere mit sehr punkigen Filmen begann, seinen Stil nun aber zu mittlerer Pracht moderiert hat.

Zur Vor- und Nebengeschichte der Filme gehören eine eigene Yip-Fernsehserie und Spin-offs und Abklatschprojekte, vor allem aber die Konkurrenz mit Wong Kar-Wais seit den neunziger Jahren geplantem eigenem Ip-Man-Film. Der erblickte dann 2013, zwischen Teil zwei und Teil drei der Yip-Man-Serie, als „The Grandmaster“ das Licht der Welt und wurde mit seinem dick aufgetragenen Kunstanspruch und seiner Gravitas durchaus zwiespältig aufgenommen.

Choreografie der Kämpfe

Die Choreografie der Kämpfe mit ihrer charakteristischen Mischung aus klatschenden Körperkontakten und bodennahem Wirework-Flug stammt wie schon in Teil drei von der Legende Woo Ping-Yuen (dem Vernehmen nach immer mit starker Beteiligung des Hauptdarstellers Donnie Yen). Die Fights sind also durchweg nicht realistisch, zum einen wegen der an den unnatürlichen Dreh- und Roll-Flug-Bewegungen erkennbaren Trick-Draht-Arbeit, aber auch die Nehmerqualitäten der Kämpfer gehen weit über alles Menschenmögliche hinaus.

Zur Mittelweg-Ästhetik der Filme im Ganzen passt das sehr gut: Nichts und niemand war so, wie man es in diesem Biopic sieht. Aber die Wirklichkeit, wie sie war, bleibt bei aller Überzeichnung immer im Blick.

Nichts und niemand war so, wie man es in diesem Biopic sieht

Das gilt auch und gerade, aber noch einmal anders für den vierten Teil, der sich für die meiste Zeit von Asien in die asiatische Diaspora in den Vereinigten Staaten bewegt. Hinreißend ist die Liebe noch zum geringsten Sechziger-Jahre-Ausstattungsdetail in Innendesign und Modefragen, sind die satt-bunten Bruce-Lee-filmhaft kintoppmäßigen Farben, in die die Sepia-Tendenzen der Anfänge im Lauf der einzelnen Filme überreal umgekippt sind.

Antiasiatischer Rassismus

Der Plot des Finales folgt denn auch der Bewegung Bruce Lees: an die Westküste der Vereinigten Staaten, genauer gesagt in die Chinatown San Franciscos. Eigentlich sucht Ip Man, an Krebs erkrankt, in den USA einen College-Platz für seinen Sohn, wird dann aber in einen Kampf an zwei Fronten verwickelt.

Da ist zum einen die puristische Konkurrenz des Tai-Chi-Meisters Wan Zong Hua (Yue Wu), der sich über den Verrat Bruce Lees an der reinen asiatischen Lehre empört: Nicht nur unterrichtet er amerikanische Schüler, er hat auch noch ein Lehrbuch in englischer Sprache verfasst. Der Streit führt in der typischen, musical- beziehungsweise opernhaften Martial-Arts-Rezitativ-und-Arien-Struk­tur zum ersten Höhepunkt: dem Kampf der beiden Altmeister auf erst knirschendem, dann zerspringendem Tischglas.

Die andere Front: unverblümter US-amerikanischer antiasiatischer Rassismus. Der bekommt hier am aus- und eindrücklichsten die wirklich sehr brachiale Gestalt von Scott Adkins, der der Kennerin des Genres aus manchen der besseren Direct-to-­video-Mixed-Martial-Arts-Filme vertraut ist. Zwischen die Räder beziehungsweise die hochfrequent schlagenden Hände und Fäuste gerät, von rassistischen Mitschülerinnen bedrängt, Wan Zong Huas Tochter Yonah (Vanda Margraf), gerät auch ein junger Marinesoldat, der die Wing-Chun-Kunst ans amerikanische Militär zu vermitteln versucht – und damit am Ende natürlich auch reüssiert.

Was auch am finalen Kampf zwischen dem Brutalo-Rassisten Adkins und dem noch im fortgeschrittenen Alter und mit Blut im Mundwinkel eleganten Donnie Yen liegt. Der Ausgang kann angesichts der ideologischen Zuspitzung nicht anders als klar sein. Die auch dramaturgische Virtuosität von Woo Ping-Yuens Choreografien sorgt dafür, dass man den Atem anhält, wenn der Verlauf dieses Höhe- und Schlusspunkts nur per ziemlich viel Aspera-Schlag- und Tritthagel ad astra des Siegs der guten und richtigen Sache führt.

Den Tod des Meisters nimmt das Biopic nur als Quasi-Postskriptum noch in den Blick. Geschlossen wird der Bogen mit Flashbacks zurück auf das Leben, wie es im Film dargestellt ward: Stets wiederkehrend in den Filmen wie nun auch im Rückblick das Motiv des – real existierenden – Dummys aus Holz, an dem die Wing-Chun-Techniken automatisiert werden. Versammlung der Höhepunkte, also der wichtigsten Kämpfe Yip Mans, und genauso Donnie Yens.

In den zwölf Jahren Drehzeit der Reihe hat sich das Bild der dargestellten Figur immer weiter über die seines Darstellers gelegt. Es gehört zu den spannenden Fragen nach dem Ende der Serie, wie sich Donnie Yen, längst selber Legende, aus dem Schatten der Ikone wieder befreit.

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