Einwand gegen Bau der A 39: Ortolan versus Autobahn

Die Autobahn 39 soll von Nichts nach Nirgendwo führen, mitten durch die Singgemeinschaften von Emberiza hortulana: Den zu stören ist aber verboten.

Ein Ortolan sitzt auf einem Stein mit Flechten

Leicht melancholischer Gesang von großer Macht: Der Ortolan kann Autobahnen wegsingen Foto: imago/McPhoto/M.Schaef

BREMEN taz | Warum der Ortolan noch nie Vogel des Jahres war, ist ungewiss. Aber keine Turteltaube könnte der Gartenammer – ihr aparterer Name Ortolan leitet sich von lateinisch hortus, der Garten, ab – den Titel streitig machen, wenn einträte, was nun der Landesverband der Bürgerinitiativen Umweltschutz (LBU) in Niedersachsen aufgrund eines neuen vogelkundlichen Gutachtens erwartet: Es kann passieren, dass der Ortolan die Pläne für den Bau der A 39 endgültig stoppt.

Mindestens geht der LBU davon aus, dass es nichts wird mit dem großen Rastplatz Riestedt für 300 Laster und 80 PKW. An der Stelle nämlich hat Vogelkundler Jörg Grützmann nicht nur selbst diesen Mai drei singende Männchen beobachten können.

Er hat auch nachgewiesen, dass dort seit mindestens 20 Jahren Ortolane dokumentiert sind. Und „Ortolane zu vertreiben, ist in Niedersachsen verboten“, erinnert der Ornithologe. Bei der Landesbehörde für Straßenbau nimmt man den Einwand ernst: „Die Informationen von Herrn Grützmann werden aktuell mit den beauftragten Fachplanern ausgewertet“, versichert Annette Padberg in Lüneburg.

Den Rastplatz killen – das würde nicht reichen, weder Autobahngeggner*innen, noch Ortolanen. Denn auch 16 Kilometer weiter südlich zwischen Wieren und Soltendieck unterhalten sie Singgemeinschaften. So was machen Ortolane nämlich, und das führt zu extremer Standorttreue: Die Zugehörigkeit wird „von einer Generation an die andere weitergegeben“, heißt es im Grützmann-Gutachten. Da hindurch eine Autobahn zu führen, das kann für ein musikalisch anspruchsvolles Tier nicht gut gehen.

Die Bechstein-Feldermaus haust im sogenannten Kalkberg und behindert seit Jahren den Weiterbau der A20 beim schleswig-holsteinischen Bad Segeberg.

Die Keiljungfer war eine Zeitlang die Hoffnung der Naturschutzverbände, um eine weitere Elbvertiefung zu verhindern, denn sie stand nach deren Ansicht einer Ausgleichsmaßnahme für den Flussausbau im Weg.

Die Haubenlerche ist der Alptraum für Bauherren. Galerida cristata ist vom Aussterben bedroht. Sie und ihr Lebensraum sind unbedingt zu schützen – doof nur, dass sie gern auf Baustellen nistet.

Die Löffelente fraß gern im Mühlenberger Loch in Hamburg und war ein starkes Argument gegen die Airbus-Erweiterung in der Elbbucht. Sie zog ab.

Ohnehin ist die Art in Niedersachsen gefährdet und auch die Vogelschutzrichtlinie der EU hat Emberiza hortulana gelistet. Hätte man deshalb Chancen vorm Bundesverwaltungsgericht? „Oh, unbedingt!“, sagt Eckehard Niemann von der LBU-Regional-Gruppe Ostheide, der so was ist wie die Stimme des Widerstands gegen die A 39, seit 17 Jahren schon: „Wir sind“, sagt er, „die älteste BI gegen ein solches Großprojekt in Deutschland“.

Und eine der erfolgreichsten: Gebaut von dem Vorhaben sind bislang – null Kilometer, und mit den Planfeststellungsverfahren ist die Behörde noch nicht weit. Drei sind im Gange, drei in Vorbereitung, eins schon wieder in Neuauflage.

Denn als 2018 ein Beschluss endlich fertig war – der Abschnitt bis Ehra – zog allen voran der Umweltverband BUND mit den Gegner*innen vors Bundesverwaltungsgericht. Vergangenen Sommer stoppte das Gericht den Ausbau vorerst; „dabei hatten wir da ja nur ziemlich wenig Argumente“, wie Niemann einräumt. Das sieht in den Ortolan-Gebieten anders aus.

Riestedt, Soltendieck, Ehra, Wieren: Das klingt nach irgendwo im Nirgendwo. Und das ist Teil des Problems: Denn von Nichts nach Nirgends eine Autobahn zu bauen war schon 1940 keine so tolle Idee, als es darum ging, die Stadt des Kraft-durch- Freude-Wagens vierspurig mit Lüneburg zu verbinden.

Auch war die vom Bundestag 1995 in Auftrag gegebene, einzige gründliche und wirklich ergebnisoffene Evaluierung des Vorhabens, die „Verkehrsuntersuchung Nordost“ (Vuno), damals „über alle Fachbereiche übereinstimmend“ zu dem Schluss gekommen: Die infrastrukturellen Defizite, um die es ging, würde die A 39 nicht beheben. Dafür aber sei sie mit „gravierenden ökologischen Risiken verbunden“.

Ökonomisch, landschaftsplanerisch und ökologisch sinnvoller sei es, auf „zügig geführte Bundesstraßen“ zu setzen. Eindeutiger kann eine Empfehlung kaum sein. Die Folge: Mann – in erster Linie Gerhard Schröder (SPD), weshalb die ungebaute Strecke den Beinamen Kanzlerautobahn trägt – entschied sich fürs Gegenteil.

Seither herrscht ein Gutachten-Krieg: Die eine Seite lässt die regionalwirtschaftlichen Effekte besser, die andere diese schlechter aussehen. Und während die Industrie- und Handelskammer auf einen miesen Kosten-Nutzenfaktor von 1:1,9 kommt, hat die Grünen-Fraktion im Landtag sogar einen vernichtenden von 0,85 errechnen lassen.

Alles unter eins bedeutet: Die Autobahn würde mehr schaden, als sie nützt. Dass Hamburgs Hafen an Bedeutung verliert, stützt eher die pessimistische Prognose.

Das Planungsamt hat sich auf die „nicht vollständig zu vermeidenden Vorkommen des Ortolans“ eingestellt. Sie würden „artenschutzrechtlich und gebietsschutzrechtlich nach den gesetzlichen Vorgaben gewürdigt“, sagt Padberg. Man habe fest vor, die nötigen Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen.

Das Amt will Gehölzstreifen schaffen und plant, sich mit Bauern zu verständigen, die Ackerrandstreifen für den Ortolan extensiv bewirtschaften könnten. Zwei habe man dafür unter Vertrag, und auch die Funktionsfähigkeit solcher Maßnahmen sei erprobt und nachgewiesen worden, auf zehn Hektar zwischen Ostedt und Kroetze – also irgendwo, wo sicher keiner eine Autobahn baut.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.