Neues Album „Suvenýr“ von Marc Schmolling: Erinnerungen aus der Zukunft

Hier klingt Nostalgie frisch und abenteuerlustig: Das Werk „Suvenýr“ des Berliner Pianisten bewegt sich zwischen Improvisation und Komposition.

Schwarz-weiß Foto des Musikers Marc Schmoling

Verdichtung statt Weitschweifigkeit: der Pianist Marc Schmolling Foto: Nicole Müller

Tonträger können dieser Tage wieder eine ganz neue Qualität gewinnen. Neben dem gestreamten Einerlei von Film, Musik und Videokonferenz auf dem Telefon oder Computer hat eine Schallplatte den klaren Vorteil, als bloßes Objekt ein wenig Abwechslung vom digitalen Alltag zu bieten.

Musiker können mit Alben sogar nach wie vor auf sich aufmerksam machen, neben Live-Auftritten im Internet wohlgemerkt, um daran zu erinnern, dass mittelfristig ein Konzertbetrieb wieder ermöglicht werden muss, um Künstlern und Veranstaltern ihre Existenz zu sichern.

Solange das nicht geht, ist der Kauf einer Platte oder CD zumindest eine Solidaritätsgeste. Ganz abgesehen davon, dass so ein lästig herumstehendes oder -liegendes Objekt weiterhin als räumliche Erinnerung an die Musik darauf dienen kann. Ein Souvenir, oder, auf Tschechisch, „Suvenýr“, wie der Berliner Pianist Marc Schmolling sein zweites Soloalbum genannt hat.

Der Titel ist seinerseits ein bisschen eine Erinnerung an Marc Schmollings Mutter, die aus Prag stammende Dichterin Inka Machulková, die 2014 starb. Doch erkunden die zehn auf der Platte versammelten Nummern weit mehr als Momente der Vergangenheit. Überhaupt ist die Frage, ob es alles Erinnerungen an Gewesenes sind, die sich hinter Titeln wie „UFO Promenade“ verbergen. Sie könnten genauso gut aus der Zukunft stammen.

Keine Frage mehr des exakten Improvisationsanteils

Obwohl sein erstes Soloalbum „Not So Many Stars“ erst 2016 erschien, hat der geborene Münchner, der seit 2006 in Berlin lebt, in anderer Besetzung eine Reihe von Platten veröffentlicht, darunter allein vier mit seinem Marc Schmolling Trio. Auf „Suvenýr“ setzt er den introspektiven Ansatz seines Solodebüts fort, vor allem aber seine Lust am Entdecken, am Finden aus der spontanen Intuition heraus. Jazz ist auch längst nicht mehr eine Frage des exakten Improvisationsanteils im dargebotenen Material.

Marc Schmolling: „Suvenýr“ (Schmollingstones)

Marc Schmolling jedenfalls, der zu den Mitgründern des seit 2007 bestehenden Jazzkollektivs Berlin gehört, bezeichnet sich ganz selbstverständlich als Komponist. Einer, der, teils der Jazztradition US-amerikanischer Vorbilder folgend, teils in Anlehnung an das europäische Kunstlied, schon mal für ein Projekt „Songs“ schreibt, die nach Noten darzubieten sind. Für Chor hat Schmolling ebenfalls komponiert, namentlich in seinem Projekt „The Sounds of Silence“.

Auf „Suvenýr“ lotet Schmolling die Übergänge von Improvisation und Komposition aus, lässt seine Melodien und Harmonien auf Entdeckungsreise gehen, selten ganz eindeutig tonal oder atonal. Das kann sich, wie im Titelstück, sehr lyrisch verdichtet gestalten, Weitschweifigkeit oder Redundanz sind seine Sache nicht. In „Twas Brig“ ist die Suchbewegung rhythmisch unruhiger, geht erst in die eine, dann in die andere Richtung, ziellos wirkt die Entwicklung allerdings nie.

Vom Flügel zum prepared piano

Für „Klíče“ hat er den Flügel zum prepared piano umgebaut und Objekte auf einige Saiten gelegt, ohne den Klang des Instruments allzu stark zu verfremden. Die Töne scheppern lediglich etwas metallisch. Der Titel ist die tschechische Bezeichnung für „Schlüssel“, womit er zugleich einen Hinweis auf die im Flügelinneren verwendeten Gegenstände gibt.

Im Hintergrund ist oft noch ein weiteres Instrument zu hören: Marc Schmolling begleitet seine Stücke beim Spielen mit leisem Singen. Hier findet er sich in Gesellschaft von Kollegen wie Keith Jarrett oder Glenn Gould. Wobei Schmolling schöner singt als Letzterer.

Selbstbewusst selbstironisch zeigt er sich in Titeln wie „Rock'n'Schmoll“, beginnt das Stück mit einer kantigen Melodie als eine Art Hommage an den Jazz-Innovator und Pianistenkollegen Thelonious Monk, spinnt sich von dort aus immer freier fort, auch diesmal unter Einsatz seiner Stimme. Das eigene Label, auf dem er „Suvenýr“ veröffentlicht hat, heißt übrigens Schmollingstones.

Am 9. Juni stellte Schmolling sein Album im A-Trane ohne Publikum als Livestream vor, das Konzert ist auf Youtube abrufbar. Im März hatte er zuvor einen Auftritt in der Online-Konzertreihe „Into the Shed“, die sein Jazzkollektiv-Mitstreiter, der Gitarrist Ronny Graupe, seit dem Corona-Lockdown veranstaltet. Bleibt zu hoffen, dass die Zeit für Konzerte ohne Bildschirmbarriere nicht allzu lange auf sich warten lässt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.