: Das andere Kirchenschiff
Der Dokumentarfilm „Wir schicken ein Schiff“ zeigt einen Kirchenvorsitzenden, der sich gegen das Sterben im Mittelmeer einsetzt – Kontroversen kommen etwas zu kurz
Von Jens Müller
Ein Schiff wird kommen – ein Kirchenschiff der etwas anderen Sorte.
„Europa verliert seine Seele – wenn es an dieser Stelle nicht den eigenen Grundorientierungen gemäß handelt“, sagt gleich zu Beginn Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er meint das Sterben der Flüchtlinge im Mittelmeer. Er hat gehandelt.
Und die ARD war mit einem Filmteam bei dem Projekt von Anfang an mit dabei – so zumindest soll es aussehen. Sie hat Bedford-Strohm quasi über die Schulter gesehen, als der Mann während der Ostertage 2019 das Schicksal eines Flüchtlingsbootes verfolgte, dem Mann, der anstelle des Talars auch gerne mal dunkle Anzüge mit Krawatte trägt und der, rein äußerlich, eher als Bankmanager durchgehen würde denn als Aktivist.
Begleitet wurde Bedford-Strohm auch, als er folgenden Facebook-Post verfasste: „Sie sind seit vier Tagen auf dem Wasser und in größter Not. Malta wäre für die Rettung dieser Menschen zuständig, aber rettet nicht. Und auch sonst will kein Staat retten. Alle schauen zu. Menschen wissentlich ertrinken zu lassen, ist gegen alle unsere Werte und gegen jedes Recht.“ Weil ihm Worte nicht genug waren, initiierte Bedford-Strohm den Kauf und den Umbau des Forschungsschiffs „Poseidon“ in ein Rettungsschiff. Bedford-Strohm kämpfte gegen alle Widerstände, nicht zuletzt aus den Reihen der Evangelischen Kirche selbst („Kümmern Sie sich um notleidende Menschen in Deutschland!“).
Man tritt der (sonst etwa für die Sendung „Monitor“ tätigen) Autorin Lara Straatmann kaum zu nahe, wenn man ihren Film „Wir schicken ein Schiff – Seenotrettung im Auftrag der Kirche“ als eine Art Propagandafilm bezeichnet. Ihrem Protagonisten, dessen zahlreiche Einlassungen sie unter konsequent ehrfurchtsvoller Wiederholung seiner Funktion („Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland“) anmoderiert, steht sie ungefähr genauso neutral gegenüber wie Autorenfilmer Til Schweiger seinem Protagonisten in seinem neuen hagiografischen Werk („Schw31ns7eiger: Memories – Von Anfang bis Legende“).
Man mag das goutieren, wenn man die Haltung im Grunde teilt. Aus ebendiesem Grund kann man aber auch bedauern, dass der Film nicht etwas nüchterner und kontroverser geraten ist. Die Sorte Bilder, die weniger an den Verstand als an das Mitgefühl der Zuschauer appellieren, ist man dabei bereit hinzunehmen: die Einblendung von sechs Verstorbenen, jeweils mit Porträtfoto und Namen, weiß auf schwarz; die Aufnahmen eines vielleicht Zweijährigen, der von bewaffneten Libyern auf ihr Schiff gezerrt wird, dazu der Off-Kommentar: „Dieser kleine Junge wird mit Europas Hilfe in ein Bürgerkriegsland zurückgebracht. Dort werden sie alle in ein Haftlager gesperrt.“ Das Medium ist immerhin ein Bildmedium.
Und der Europarechtler Jürgen Bast liefert die Argumentation schließlich nach: „Wir lassen dort die sogenannte libysche Küstenwache Dinge machen, die, wenn wir sie selber machen würden, schwerste Menschenrechtsverletzungen darstellen würden. Und dabei ignorieren wir, dass das auch verboten ist nach dem Völkerrecht.“ Leoluca Orlando, der in Deutschland nicht eben unbekannte Bürgermeister von Palermo, gelernter Jurist auch er, greift zu einer drastischeren Wortwahl: „Wir wollen klar sagen, dass es in diesem Moment im Mittelmeer einen Massenmord und einen Genozid gibt.“
Das ginge alles so in Ordnung. Was weniger in Ordnung geht, ist die verkürzte Wiedergabe der Kritik an den privaten Rettungsschiffen. Da wird kurz Horst Seehofer eingeblendet: „Ich finde, zum Verhaltenskodex gehört schon auch, dass sie nicht indirekt das Geschäft der Schleuser besorgen.“ Da wird dann rhetorisch gefragt: „Das Geschäft der Schleuser besorgen: Tun sie das tatsächlich? Sind es die Rettungsschiffe, die zur Flucht ermuntern?“ Da wird kontrovers diskutierte Kritik (in der Zeit damals von Mariam Lau) en passant abgetan mit der Erklärung einer Mitarbeiterin der Internationalen Organisation für Migration, die verfügbaren Daten unterstützten dies einfach nicht.
Etwas mehr Diskurs und etwas weniger Schiffstaufe – und die „Poseidon“, die jetzt „Sea-Watch 4“ heißt, hätte trotzdem, wenn nicht mit noch besserer Unterstützung, Fahrt aufnehmen können: „… gegen die Ohnmacht. Gegen die Gleichgültigkeit … gegen die Flüchtlingspolitik der EU“.
„Wir schicken ein Schiff – Seenotrettung im Auftrag der Kirche“, 23.30 Uhr, ARD
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen