: „Achtung, wir drehen – Mundschutz ab!“
Historie unter erschwerten Hygiene-Bedingungen: In Worpswede und Bremen entsteht derzeit ein Dokudrama über den Worpsweder Künstler Heinrich Vogeler. Wann es jemand wird sehen können, ist derzeit unklar
Von Wilfried Hippen
Die meiste Zeit sind die SchauspielerInnen gesichtslos –so wie der Rest der Crew am Set. Nur wenn tatsächlich gedreht wird, nehmen sie den Mund-Nasen-Schutz ab. An der Körpersprache und dem Umgangston merkt man schon, wie vertraut die meisten der anwesenden Mitwirkenden miteinander sind. Und doch: Unter den Bedingungen der Pandemiebekämpfung müssen sie Abstand voneinander wahren – eine Distanz, die besonders absurd wirkt: Die Entstehung eines Films ist ja eine schöpferische Kollektivarbeit, ähnlich etwa dem Zusammenspiel von MusikerInnen.
Als eine der ersten Produktionsfirmen traut sich Kinescope aus Bremen nach dem Lockdown wieder zu drehen. Im März hatte man die Produktion des Dokudramas über den Künstler Heinrich Vogeler abbrechen müssen. Seit der vergangenen Woche konnte man daran wieder arbeiten: in Worpswede und in Bremen. Dabei gilt ein strenges Hygienekonzept mit insgesamt 24 Regeln, zu denen etwa Coronatests bei den SchauspielerInnen gehören, und ein Mindestabstand von anderthalb Metern. Ausnahmen davon sind einzig „aus zwingend dramaturgischen Gründen“ erlaubt. Damit sich die DarstellerInnen nicht zu nahe kommen, wurde das Drehbuch umgeschrieben, Liebesszenen etwa entfielen, und in einigen Szenen suggeriert nun nur die Kameraführung Nähe.
In der ersten Woche wurde an Originalschauplätzen in Worpswede gedreht, vor allem auf dem Barkenhoff: Ende des 19. Jahrhunderts ließ der Fabrikantensohn Heinrich Vogeler den Bauernhof in eine Jugendstilvilla umbauen, die dann zum Mittelpunkt Worpswedes wurde. Für den Film – Arbeitstitel: „Heinrich Vogeler – The artist is gone“ – wurde beispielsweise Vogelers berühmtes Gruppenbild auf der Treppe nachgestellt, mit Florian Lukas in der Rolle der Hauptfigur, Johann von Bülow als Dichter Rainer Maria Rilke und Anna-Maria Mühe als Martha Vogeler, die oft von ihm gemalte erste Ehefrau des Künstlers.
In Worpswede wurden zunächst vor allem Außenaufnahmen gedreht, was es relativ einfach machte, etwa die erwähnten Abstandsregeln einzuhalten. Anders am Dienstag dieser Woche in Bremen: Innenaufnahmen stehen an, unter anderem in einem engen, abgedunkelten Gang, in dem Vogeler-Darsteller Lukas wie in einer Traumvision auf ein Licht in der Ferne zuwanken muss: Dafür wurde das Team auf das absolute Mindestmaß beschränkt – und nach jedem Take das Set gründlich durchgelüftet. Nicht aus der Ruhe bringt so etwas die Regisseurin: Marie Noëlle, die sich unter anderem mit dem Spielfilm „Marie Curie“ einen Namen machte, macht keine Ansagen vor versammelter Mannschaft, führt statt dessen Einzelgespräche mit DarstellerInnen oder Crewmitgliedern. Das mag ihrem Temperament oder den Auflagen geschuldet sein – jedenfalls wirkt sie souverän inmitten denkbar widriger Umstände.
„Heinrich Vogeler“ ist als Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm konzipiert, ist also ein Dokudrama, wie es hierzulande vor allem die Arbeiten von Heinrich Breloer beliebt gemacht haben. Etwa ein Drittel wird dabei aus Spielszenen bestehen, die jetzt zu Ende gedreht werden sollen. Ein weiteres Drittel bilden Archivaufnahmen, den Rest Statements etwa von dem Autor und Vogeler-Experten Klaus Modick, der Künstlerin Marina Abramovićoder auch dem Sohn des Künstlers, Jan Vogeler (1923–2005). So beschränken sich die Spielszenen auf etwa 30 Minuten – selbst unter Coronabedingungen eine zu bewältigende Aufgabe, verglichen mit der Inszenierung eines ganzen 90-Minüters.
Aber der Mehraufwand bleibt beträchtlich: Viele Arbeitsabläufe, die sonst direkt am Set erledigt würden, muss das Team auslagern. So werden die DarstellerInnen schon im Hotel geschminkt und in ihre Kostüme gesteckt. Besprechungen, Abnahmen und Kostümproben finden, wo immer möglich, in Form von Telefonkonferenzen statt. Für nebensächlich klingende Dinge wie die Transporte muss mehr Zeit eingeplant werden: Je Fahrzeug dürfen nur zwei Personen mitfahren.
Am Set dann muss sich der körperliche Kontakt aufs Allernötigste beschränken: Da darf höchstens einmal ein Kostümbildner die Schuhe einer Darstellerin mit etwas Dämmendem bekleben, damit sie nicht so laut klackern. Oder eine Maskenbildnerin richtet eine Frisur – mit einem einzigen kurzen Griff (mit Schutzhandschuh).
Gedreht wird in Bremen in den ehemaligen Speicherhallen von Kaffee Hag im Ortsteil Walle. Das Anfang des 20. Jahrhunderts gebaute Gebäude steht unter Denkmalschutz — woraus die Filmproduktion aber wenig macht. Dabei war Ludwig Roselius, der Erfinder des entkoffeinierten Kaffees, der wichtigste Mäzen der Worpsweder Künstlerkolonie; auch im Film tritt er auf, verkörpert von Uwe Preuss. Aber die lange entkernten Speichergebäude haben zu wenig Wiedererkennungswert, als dass sie einen Originaldrehort hergäben – nun werden darin, in gebauten Kulissen, Szenen aus Heinrich Vogelers russischem Exil in den 1930er-Jahren inszeniert: Eine umso ironischere Variation des Verhältnisses von Geschichte und Fiktion.
In den wenigen Momenten, wenn die Kamera mal läuft und die SchauspielerInnen spielen, ist jedeR am Set darauf konzentriert, die Aufnahme so gut wie nur möglich gelingen zu lassen – auch schon mal so sehr, dass sich alle sehr nahe kommen, obwohl alle Hygienemaßnahmen eingehalten werden. Ob und wann der Film fertig wird? Wann er gar in die Kinos kommen wird? Das kann derzeit niemand sagen.
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