Gebärdensprachen in Nordirland: Eine Geschichte der Diskriminierung

Nordirlands Regierung wird im Fernsehen stets von zwei Übersetzerinnen begleitet. Denn im Land nutzen Gehörlose verschiedene Gebärdensprachen.

Pressekonferenz von Michelle O’Neill, die von zwei Frauen in Gebärdensprache übersetzt wird

Die virtuelle Pressekonferenz wird in zwei Gebärdensprachen übersetzt Foto: Liam McBurney/picture alliance

FANORE taz | In Zeiten der Coronakrise treten Nordirlands Regierungschefinnen Arlene Foster von der protestantisch-unionistische Democratic Unionist Party (DUP) und Michelle O’Neill von der katholisch-republikanischen Sinn Féin täglich virtuell vor die Presse und verkünden die neuesten Maßnahmen. Hinter ihnen, auf einem Großbildschirm, übersetzen zwei Frauen die Statements in Gebärdensprache – zwei Frauen, denn es gibt in Nordirland zwei Gebärdensprachen.

Die britische Version ist 1816 in Irland – damals eine britische Kolonie – eingeführt worden. Aber die irische Gebärdensprache existierte bereits seit hunderten Jahren, sie enthält Anleihen aus der französischen Gebärdensprache. Da die katholischen Schulen nach Geschlechtern getrennt waren, entwickelten sich obendrein zwei verschiedene Varianten, die zum Teil heute noch bestehen.

Katholische Missionare verbreiteten die irische Gebärdensprache in Australien, Schottland und Südafrika, wo die weibliche Variante zum Teil bis heute überlebt hat, weil die gehörlose Dominikanerin Bridget Lynne damals von ihrem Orden als Lehrerin nach Johannesburg entsandt worden war.

Gehörlose katholische Kindert wurden in Irland noch weit bis ins 20. Jahrhundert diskriminiert. Sie mussten zur Fastenzeit die Gebärdensprache aufgeben, und wenn sie das Verbot missachteten, wurden sie zur Beichte geschickt. Erst am Heiligabend 2017 trat in der Republik Irland ein Gesetz in Kraft, das Gehörlosen Zugang zu Bildung, zu den Medien, zu Bankgeschäften und zum Gesundheitsbereich garantiert

Regionalregierung lag auf Eis

In Nordirland konnte das entsprechende Gesetz nicht inkraft treten, weil die Regionalregierung im Januar 2017 kollabierte. Drei Jahre lag sie auf Eis.

Einer der Streitpunkte war ausgerechnet die irische Sprache. Die DUP hatte sich geweigert, Irisch als offizielle Sprache anzuerkennen und Fördermittel bereitzustellen. Sinn Féin kündigte daraufhin die Zusammenarbeit auf. Dadurch konnten Gesetze nicht verabschiedet werden, weil es keinen Minister gab, um sie abzuzeichnen. Eins dieser Gesetze betraf die Gebärdensprachen.

3.500 Menschen benutzen die britische, 1.500 die irische Gebärdensprache. Sie können untereinander nicht kommunizieren. Beide Sprachen sind zwar 2004 als „Minderheitensprachen“ anerkannt worden, sie haben aber keinen richtigen rechtlichen Status. Ohne diesen Status können Gehörlose aber keinen Zugang zu Dienstleistungen einfordern.

Untersuchungen haben gezeigt, dass Gehörlose einen schlechteren Bildungs- und Gesundheitsstand als der Durchschnitt der Bevölkerung haben, ihre Lebenserwartung ist niedriger. Gehörlose Frauen sind doppelt so häufig häuslicher Gewalt ausgesetzt, weil sie aus Furcht, nicht verstanden zu werden, nicht zur Polizei gehen.

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