Gegen Diskriminierung gehörloser Eltern: Das Recht auf (Gebärden-)Sprache

Das Thüringer Gesetz zur Inklusion übersieht, dass gehörlose Eltern meist hörende Kinder haben. Eine Petition fordert Dolmetscher für die Betroffenen.

Zwei Menschen stehen vor einer Schultafel und unterhalten sich ausdrucksstark in Gebärdensprache.

Elternsprechtag – gehörlose Eltern brauchen häufig einen Dolmetscher Foto: Andi Weiland/Boehringer Ingelheim, Gesellschaftsbilder.de

Genau wie Deutsch, Arabisch oder Swahili ist die Deutsche Gebärdensprache eine vollwertige, komplexe Sprache mit eigenem Vokabular und eigener Grammatik. Nicht die Verzeichenbarung einer anderen Sprache, nicht die Notlösung für eine lautlose Kommunikation. Doch der Weg solcher Erkenntnisse in die Gesetze ist lang.

Deshalb war die Freude groß, als im vergangenen Jahr in Thüringen endlich die längst überfällige Aktualisierung des Gesetzes zur Inklusion und Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (ThürGIG) verabschiedet wurde – bis vor einem Monat ein Formfehler entdeckt wurde, der einen Teil der hörbehinderten Menschen von der Gleichstellung ausschließt, nämlich gehörlose Eltern mit hörenden Kindern.

Manuel Löffelholz, Mitgründer des Vereins für bilinguale Bildung in Deutscher Gebärdensprache und Deutscher Lautsprache, hat nun eine Petition beim Thüringer Landtag eingereicht, damit die besagte Formulierung geändert wird.

Zum ersten Mal auf den Fehler aufmerksam wurde Löffelholz durch die Nachricht der gehörlosen Eltern des sechsjährigen Gregor* in Suhl. Um am Elternabend im Kindergarten teilnehmen zu können, hatten diese beim Jugendamt die Kostenübernahme der Gebärdensprachdolmetscherin beantragt – durch Paragraf 12 des ThürGIGs sollte das nun endlich möglich sein. Doch der Antrag wurde abgelehnt, zwei Tage vor dem Elternabend.

Unterstützung nur bei ebenfalls gehörlosem Kind

Das Jugendamt bezog sich auf einen Absatz in Paragraf 12, in dem es heißt, die Kostenübernahme müsse durch die öffentliche Jugendhilfe erfolgen, in deren Zuständigkeitsbereich „das hör- oder sprachbehinderte Kind“ die Kindertageseinrichtung besucht. Gregor ist aber gar nicht hör- oder sprachbehindert. Seine Eltern hätten deshalb auch keinen Anspruch auf eine*n Dolmetscher*in.

Wenig später ereignete sich ein ähnlicher Fall: Einem Elternpaar in Meiningen wurde vom Jugendamt mit Verweis auf den gleichen Paragrafen nahegelegt, sich statt über Gebärdensprache doch mittels Schriftsprache (etwa durch einen Computer) zu verständigen. Eine komplett andere Sprache – und für die Eltern möglicherweise eine Fremdsprache.

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Laut den wissenschaftlichen Arbeiten der US-Psychologin Mary Ann Buchino können 90 Prozent der Kinder hörbehinderter Paare selbst sehr gut hören. Das bedeutet im Umkehrschluss: Für 90 Prozent der hörbehinderten Elternpaare ist dieser Teil des Gesetzes ungültig.

Manuel Löffelholz ist frustriert. „Der Sinn und Zweck dieses Gesetzes war eindeutig, die Teilhabe hörbehinderter Eltern zu ermöglichen – ob ihr Kind nun ebenfalls hörbehindert ist oder nicht. Es ist traurig, dass die Jugendämter bei einem so offensichtlichen Formfehler das Gesetz nach seinem genauen Wortlaut interpretieren statt nach seinem Sinn und Zweck. Sie tragen dadurch zu einer Diskriminierung bei, die gesetzlich eigentlich schon gemindert ist.“

Aktuell befindet sich das junge ThürGIG wieder in Überarbeitung – eine Chance, um auch die Fehler in Paragraf 12 zu berichtigen. Um den Petitionsausschuss der Landesregierung zu erreichen, braucht Manuel Löffelholz’ Petition bis Anfang Dezember nun 1.500 Stimmen.

*Name zum Schutz der Privatsphäre geändert

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