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Kreativität und Kapital

Im digitalen Austausch: Die „Eintritt in ein Lebewesen“-Schau im Bethanien verknüpft Beuys’ Honigmaschine mit der prekären Onlinearbeit der Clickworker

Von Tom Mustroph

Manches Kunstprojekt erfährt größeres Gewicht durch die Covid-19-Pandemie. Die Gruppenausstellung „Eintritt in ein Lebewesen – Von der sozialen Skulptur zum Plattform-Kapitalismus“ im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien ist so ein Fall. Die von Tilman Baumgärtel zusammengestellte Schau zeigt vor allem künstlerische Posi­tio­nen, die sich kritisch mit dem „Click Working“-Kapitalismus auseinandersetzen. Der erfährt wegen der Covid-19-bedingten massenhaften Arbeitsverlagerung an Heim und Herd einen beachtlichen Aufschwung.

Von Amazons Mechanical Turk, der ältesten Plattform mit etwa einer halben Million angemeldeten Clickworker*innen (Stand 2015), sind zwar keine aktuellen Zahlen bekannt. Prolific, die größte Plattform in Großbritannien, gab aber allein für den Monat März 13 Prozent mehr Ar­bei­ter*innen als im Vormonat an. Die Zahl der Personen, die ihre Jobs verloren und ihre Einkünfte eingebüßt haben, steigt ohnehin dramatisch. Kleiner Trost: Ein paar mehr Onlinejobs gibt es auch. Weil mehr Zeit vor Bildschirmen zugebracht wird, steigt der Bedarf an Moderation in den sozialen Netzwerken. Und den ein oder anderen Euro oder Dollar bringen auch die zahlreichen über Mechanical Turk, Prolific und andere Plattformen vertriebenen Umfragen von Forschungseinrichtungen und Medienanstalten über die Auswirkungen von Covid-19.

Genau in solche Arbeitsumgebungen geht die bereits für Ende März geplante, wegen der Schließung von Kultureinrichtungen aber erst jetzt eröffnete Ausstellung. Im interessantesten Raum stehen sich zwei ­Bildtafeln gegenüber. Die eine besteht aus Aussichten aus dem Fenster. Der Künstler Michael Mandiberg zahlte 2016 Dutzenden Clickworker*innen 25 Cent für ein Foto, das den Blick aus ­ihrem Fenster zeigt. Den ein oder anderen Garten sieht man da, sogar einen Swimmingpool, aber auch kahle Innenhöfe oder eine einsam leuchtende Laterne.

An der Wand gegenüber befinden sich Aufnahmen von Personen, die einen ausgestreckten Mittelfinger in die Kamera richten. Bereits 2013 bat der Künstler Guido Segni Clickworker*innen auf Mechanical Turk um ein solches Foto; er zahlte noch 50 Cent pro Bild. Die Entlohnung pro Handlung, so scheint es, sinkt im Laufe der Zeit.

Zwischen den beiden Bildwänden stehen ein paar modrig aussehende Roller. Aram Bartholl holte Anfang 2020 Mieträder und E-Scooter, die in Berliner Gewässern gelandet waren, an die Oberfläche zurück. Damals handelte es sich noch um Zeugnisse eines ­Unterbietungskampfs von Start-ups um Mobilitätskunden. Angesichts der aktuell ­verordneten und auch sozial umgesetzten ­Berührungsfurcht, die den Mietvehikelmarkt dra­matisch zum Schrumpfen ­bringen dürfte, erscheinen die verschlammten Gefährte wie ­Botschafter einer neuen Zeit.

Ebenfalls in diesem Raum befindet sich eine Collage aus SIM-Karten. Constant Dullaart sammelte SIM-Karten, mit deren Hilfe Unternehmen in Indien und Pakistan massenhaft Fake-Accounts kreierten und für zahlende Kundschaft Follower­zahlen auf Instagram durch die Decke schießen ließen.

Die Arbeiten in diesem Raum verknüpfen die wichtigsten ­Aspekte von Click Work: die Plattformen, auf denen die Arbeit vermittelt wird, die Auswirkungen in der physischen Welt wie im Falle der Leihräder und Scooter sowie die Manipulationspotenziale. Sie offenbaren auch die janusköpfige Rolle von Künstler*innen: Einerseits werfen sie kritische Blicke auf die Phänomene prekärer Online­arbeit. Zum anderen nutzen sie die Infrastrukturen aber auch aus, indem sie andere Menschen für Centbeträge für sich ar­beiten lassen und dann vom künst­lerischen Mehrwert profitieren.

Die Wechselbeziehung zwischen Kreativität und Kapital ist das konzeptionelle Herzstück der Ausstellung. Baumgärtel führt als Ahnherrn Joseph Beuys und dessen Idee von der sozialen Plastik ein. Jeder Mensch sei ein Künstler, verkündete Beuys. Seine „Honigpumpe“ – in der Ausstellung in Form von Postkarten präsent – sollte Kreativnahrung in alle menschlichen Systeme pressen und sie zu kollektiver Schöpferkraft stimulieren.

Einzelne Arbeiten loten auch die emanzipatorischen Potenziale medial produzierter Kollektivität aus

Zynische Geister könnten Beuys’ Vision nun in den Heimarbeitsplätzen der Click­wor­ke­r*in­nen umgesetzt sehen. Zumindest sind diese angeschlossen an kollektive Pro­duktionskreisläufe. Sie finanzieren ihren Lebensunterhalt damit, und ihr Leben wird durch diese Art von Arbeit strukturiert.

Die Ausstellung geht aber nicht in die Falle der simplen Dämonisierung all dieser Abhängigkeiten. Einzelne Arbeiten loten auch die emanzipatorischen Potenziale medial produzierter Kollektivität aus. In ihrem Projekt „Learning to live you more“ (2002–2009) etwa gaben Miranda July und Harrell Fletcher so unterschiedliche Handlungsanweisungen wie „Gib deinem jüngeren Ich einen Ratschlag“, „Repariere etwas“ oder „Fertige ein Protestschild an und protestiere“. Alle Anweisungen, inklusive der letzteren, wurden umgesetzt, wie im Katalog der Aktion zu sehen ist.

Groß jedenfalls ist die Bandbreite der Schlussfolgerungen, die man aus den versammelten Arbeiten ziehen kann. Naheliegend wäre gehörige Skepsis gegenüber Künstlervisionen. Werden sie umgesetzt, wie etwa Beuys’ Idee vom Kapital, das in der Kreativität steckt, nehmen sie dystopische Züge an.

Eine zweite Schlussfolgerung wäre, sich den Ausbeutungsformen des Plattformkapitalismus zu widersetzen. Schnell gelangt man dabei zu der Frage, wer in diesen Zusammenhängen die schöpferische Instanz, der Urheber ist. Die, die die Plattform des Austauschs organisieren? Die, die am Austausch teilnehmen? Wer in welchem Maße? Damit könnte man glattweg die Folgeausstellung realisieren.

„Eintritt in ein Lebewesen“: Kunstraum Kreuzberg/Betha­nien, Mariannenplatz 2, So.–Mi. 10–20, Do._Sa. 10–22 Uhr, bis 16. August. Im Begleitprogramm zur Ausstellung findet am 25. Mai um 20 Uhr „Ein Abend mit Van Gogh TV“ als Online­gespräch statt, Tilman Baumgärtel moderiert. www.kunstraumkreuzberg.de

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