: „Auf die Straße! Jetzt erst recht!“
Marco Lorenz, Radikale Linke Berlin, wünscht sich ein kollektives Zeichen nicht nur am Laptop
Unsere Gruppe wird am 1. Mai natürlich auf die Straße gehen, ich auch. Warum auch nicht? Der 1. Mai ist ein politisches und historisches Datum, das weiter Relevanz hat – gerade jetzt in Coronazeiten. Diese Krise schreit doch geradezu nach politischen Antworten. Wir sehen ein Gesundheitssystem, das nicht funktioniert, weil es auf Profite für wenige angelegt ist, und nicht auf das Wohl aller. Es gibt Menschen, die für Schutz am Arbeitsplatz streiken müssen oder durch Kurzarbeit weiter ausgebeutet werden. Und andere, wie bei Amazon, die nicht mal Betriebsversammlungen abhalten dürfen. Dazu tritt der Rassismus weiter offen zutage: an der EU-Außengrenze, in Moria, wo Geflüchtete bekämpft werden. Oder in Hanau, wo Menschen deshalb erschossen wurden. Dass es auch anders gehen kann und gehen muss, nämlich mit einer sozialistischen Gesellschaft, dafür braucht es den 1. Mai als Kampftag. Der Kapitalismus ist keine Lösung.
Was wir nur länger diskutiert haben, war, wie der 1. Mai in diesem Jahr aussehen kann. Natürlich nehmen wir das Virus ernst und wollen nicht, dass sich Menschen anstecken. Dass es das Virus nicht gibt oder dass es bewusst in die Welt gesetzt wurde, um Repression durchzudrücken, ist nicht unsere Position. Aber klar ist, dass die Herrschenden diese Pandemie gerade ausnutzen, um demokratische Rechte auszusetzen.
Deshalb brauchen wir am 1. Mai ein kollektives Zeichen, nicht nur am Laptop. Wir werden uns dabei schützen, mit Gesichtsschutz und Abstandhalten. Und wir probieren etwas Neues: Wir rufen auf, ab 18 Uhr nach Kreuzberg 36 zu kommen, egal wohin. Über Twitter werden wir dann Orte bekanntgeben, zu denen sich die Leute auf verschiedenen Wegen begeben sollen und dort ihren Protest ausdrücken können. Alle so, wie sie es mögen, mit Bannern, Flyern, Farbbeuteln oder Pyros, zu Fuß, auf’m Fahrrad oder auf Hausdächern. Unsere Gruppe wird auf jeden Fall Transparente und rote Fahnen dabeihaben, damit klar ist, dass es hier um den 1. Mai geht. Wir fluten Kreuzberg mit Inhalten, auch das ist dann eine Manifestation!
Dass der Berliner Senat und die Polizei das nicht wollen, haben wir mitbekommen. In Berlin dürfen jetzt 20 Leute demonstrieren. Aber wenn Schutzmaßnahmen eingehalten werden, was soll das? Wo ist der Unterschied zu Supermärkten oder Büros, in denen sich Menschen begegnen? In Tel Aviv demonstrierten gerade Tausende gegen Netanjahu, mit Masken und Abstand. Warum soll das nicht auch hier gehen? Weil es vielleicht auch dem Berliner Senat darum geht, Grundrechte einzuschränken? Das wäre der Weg in den autoritären Staat und den machen wir nicht mit. Wir rufen auf, sich am 1. Mai nicht von den Bullen provozieren zu lassen – auch wenn es am besten wäre, sie kämen erst gar nicht nach Kreuzberg. Wir jedenfalls werden auf der Straße sein und unsere Botschaften setzen.“
Protokoll: Konrad Litschko
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