Online-Etikette von E-Mail-Charta: Hassliebe E-Mail

Eigentlich gibt es Empfehlungen für den E-Mail-Verkehr, empfohlen von einer E-Mail-Charta. Doch leider hält sich kaum jemand daran.

Brieftauben fliegen los aus einem Stall

... oder doch eine Brieftaube zulegen? Foto: imago

Kann man eine Woche ohne E-Mails arbeiten? Damit beschäftigte sich ein Erlebnisbericht, der im Januar im Vice Magazin erschien. Die britische Redakteurin sprach mir aus der Seele: E-Mails lenken ab, indem sie die jeweilige Tätigkeit unterbrechen und sind ein ineffizientes Mittel zur Kommunikation. Sie verleiten nämlich dazu, viel zu ausführlich zu schreiben.

Klickt man auf „neue E-Mail erstellen“, schwups, ist da schon ein ansehnliches weißes Kästchen, das es zu füllen gilt. Kaum jemand hält sich an die E-Mail-Charta, ein Klassiker der Online-Etikette, aus dem Jahr 2011. Empfohlen wird da etwa die Einführung von Kürzeln wie NNTR („no need to respond“) oder das Vermeiden von Dateianhängen.

Bei privaten E-Mails gilt das nicht. Hier darf man seiner Kreativität freien Lauf lassen, Hauptsache, der wichtigste Tratsch und Klatsch ist dabei. Mein Problem: Ich weiß nie, wie schnell ich antworten muss. Als ich in der Schulzeit eifrig Brieffreundschaften pflegte, war das klar: Der Brief brauchte ein paar Tage für seine Reise, dann wurde er mehrfach gelesen, und lag ein paar Tage herum, bis genug Aufregendes geschehen war, um Seiten zu füllen.

Dauerte es länger, konnte man sich auf die langsame Post herausreden. Aber bei E-Mails, die sofort da sind? Wie lange dürfen die im Posteingang reifen? Ich beginne jede Mail sicherheitshalber mit einer Entschuldigung.

Bitte keine Telefonate

Ein weiterer Grund für meinen E-Mail-Hass sind Newsletter. Die Zeilen „Wollen Sie nichts verpassen? Dann abonnieren Sie unseren kostenlosen Newsletter“ wirkt auf Menschen, die an FOMO („fear of missing out“) leiden, wie eine Droge auf Suchtkranke: Kurz ist der Drang befriedigt, dann geht das Verlangen umso stärker wieder los. Zeit und Geduld, sie alle zu lesen, habe ich natürlich nicht. Stattdessen plagt mich das schlechte Gewissen. Um es zu beruhigen, bestelle ich noch ein paar Newsletter, die ich diesmal ganz sicher lesen werde, versprochen.

Trotz all dieser guten Gründe, mir statt eines weiteren E-Mail-Accounts schleunigst ein paar Brieftauben zuzulegen, werde ich wohl weiter mailen. Warum? Erstens würden mir E-Mail-Signaturen fehlen. Sie bringen einen Funken Individualität in die vorgefertigte Formatierung von Mails. Zuletzt bezeichnete sich jemand als „aufstrebender Autor“, ein anderer Leserbriefschreiber ließ immer die Geheimdienste grüßen.

Messenger-Dienste sind ja viel schneller als Mails, dachte ich kürzlich, und begann, mit einigen beruflichen Kontakten über WhatsApp und Signal zu kommunizieren. In den Profilfotos sah ich nun Babys von Pressesprechern, Motorradfahrten von ehemaligen Ministerinnen und Frischgekochtes von Interviewten. So genau wollte ich das alles nicht wissen. E-Mail schafft Abhilfe.

Der dritte – und vielleicht überzeugendste – Grund, E-Mails beizubehalten, lieferte jene Vice-Reportage: Die Redakteurin bat alle ihre Kontakte, sie anzurufen. Und wenn es etwas gibt, das Digitaleinheimische noch weniger mögen als E-Mails, dann ist es Telefonieren.

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Journalistin und Autorin in Wien. Schreibt über Wissenschaft für den "Falter", kommentiert Politik für die "Presse". War zuvor Redakteurin bei "The Forward" in New York. "Versteckte Jahre. Der Mann, der meinen Großvater rettete" über ihre Familiengeschichte erschien 2018 im Paul Zsolnay Verlag, 2020 in englischer Übersetzung ("I belong to Vienna") bei New Vessel Press (New York). Von 2019 bis 2020 schrieb sie die Kolumne "Die Internetexplorerin" für die taz.

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