Das Virus holte die Planungen ein

In einer Flüchtlingsunterkunft in Baden-Württemberg wurde die Hälfte der Insassen positiv auf Corona getestet. Eine Geflüchteteninitiative spricht von „Chaos“ auf dem Gelände

Die Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen, in der rund 250 Geflüchtete positiv auf Corona getestet wurden, wird von der Polizei bewacht Foto: 7aktuell/imago

Aus Stuttgart Benno Stieber

Berthold Weiss, der sonst recht zugängliche Leiter der Erstaufnahmestelle in Ellwangen, lehnt ein Interview ab. „Das ist eine Sondersituation“, sagt er. Doch Rex Osa von einer Geflüchteteninitiative spricht von „Chaos“ auf dem ehemaligen Kasernengelände in Ellwangen.

Seit dem Wochenende ist bekannt, dass in einer der vier Landeserstaufnahmestellen (LEA) in Baden-Württemberg über die Hälfte der Bewohner Corona-positiv getestet worden ist – 251 Menschen. Eine Zahl, die nur eine Momentaufnahme darstellt, weil sich die Bewohner, bis das Ergebnis vorlag, weiter untereinander anstecken konnten.

Ellwangen, eine Unterkunft, die wegen eines Polizeieinsatzes schon bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hat, zeigt besonders deutlich, dass die Flüchtlingsunterkünfte ideale Bedingungen für die Verbreitung des Virus bieten. Schließlich leben hier bis zu sechs Menschen in einem Zimmer mit Gemeinschaftsduschen und Toiletten.

Was jetzt passiert, war deshalb vorhersehbar. Dabei räumt selbst Sean McGinley vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg ein, die Maßnahmen, die das Land zu Beginn der Pandemie ergriffen habe, „seien gar nicht so schlecht gewesen“. Routinemäßig werden alle ankommenden Geflüchteten in der Zentralen Aufnahmestelle getestet und in den Heimen zwei Wochen unter Quarantäne gestellt. Außerdem habe das Innenministerium in den letzten Wochen zum Teil gegen das Murren von Landräten und Bürgermeistern vermehrt Geflüchtete aus den vier Landeserstaufnahmestellen ausquartiert, dezentral untergebracht und so die Lage in den LEAs entzerrt.

Nach ersten Coronafällen in Ellwangen war das Gelände der ehemaligen Reinhard-Kaserne bereits seit dem 5. April unter Quarantäne gestellt worden. Das Land hatte dazu ein Freizeitheim im benachbarten Rems-Murr-Kreis angemietet und für die Unterkunft von bis zu 60 infizierten Flüchtlingen vorgesehen.„Aber die Maßnahmen zum Schutz der Flüchtlinge gingen offenbar nicht weit genug“, sagt McGinley. Der Flüchtlingsrat hatte gefordert, Geflüchtete in derzeit ohnehin geschlossenen Pensionen unterzubringen.

Das geschah nicht, und die Planungen des Regierungspräsidiums wurden vom Virus eingeholt. In der vergangenen Woche waren alle 500 Geflüchteten auf Corona getestet worden, am Osterwochenende lag dann das erschütternde Ergebnis vor.

Deshalb wurde am Wochenende bereits versucht, auf dem Gelände Quarantänebereiche zu schaffen, um die positiv Getesteten so gut es geht zu isolieren. Nach Berichten der Geflüchteteninitiative Refugees4Refugees verlief diese Aktion zum Teil chaotisch. So seien einzelne Gebäudeblocks zu Quarantänestationen erklärt worden. Die Bewohner dieser Blocks hätten aber oft nur per Zufall vom Sicherheitspersonal erfahren, dass sie unter Quarantäne stehen und nicht mehr in der Kantine essen dürfen, obwohl sie ihr Testergebnis noch gar nicht kannten.

Insgesamt seien die positiv Getesteten zunächst nur schleppend, mündlich und oft auch unzuverlässig über ihre Krankheit informiert worden. Ein Erkrankter sei beispielsweise negativ getestet, aber dennoch wieder im Quarantänegebäude untergebracht worden.

„Das schürt das Misstrauen unter den Bewohnern der LEA“, sagt Rex Osa von Refugees4Refugees. Vor allem bei den traumatisierten Geflüchteten gebe es Vorstellungen, dass die Behörden es gern in Kauf nähmen, dass sich die Insassen infizieren. „Die wollen, dass wir krank werden“, sagten manche.

Besonders seit die Infizierten nicht mehr in den Bereich des Geländes gelangen können, wo stabiles W-LAN erreichbar ist, wucherten die Gerüchte. „Sie fühlen sich abgeschnitten“, sagt Osa, der persönliche Kontakte in die LEA per Telefon pflegt. Am Freitag protestierte eine Abordnung der Geflüchteten bei der Heimleitung über die unstrukturierten Maßnahmen.

Immerhin: Nach Angaben des Regierungspräsidiums wurden nach den Feiertagen alle betroffenen Heimbewohner schriftlich und in mehreren Sprachen darüber informiert, wie ihr Test­er­gebnis ausgefallen ist. W-LAN sei inzwischen auch im Quarantänebereich gesichert. Nur die dezentrale Unterbringung ist aufgrund der schieren Zahl an Krankheitsfällen nicht möglich. In dem dafür vorgesehenen Freizeitheim sind bislang nur vier Erwachsene und fünf Kinder eingezogen