Deutscher Ethikrat billigt Corona-Triage

Würden in der Pandemie die Beatmungsgeräte knapp, dürften Ärzte bei der Behandlung die Erfolgsaussichten von Patienten vergleichen, so die Ethik-Berater

Hier können Entscheidungen über Leben und Tod gefällt werden: eine Beamtmungsmaschine auf einer Intensivstation Foto: Marijan Murat/dpa

Von Christian Rath

Wer darf leben, wer muss sterben? Vor solchen Entscheidungen werden Ärzte möglicherweise bald stehen, wenn die Corona-Epidemie zu einer Überforderung des Gesundheitssystems führt. Noch ist es nicht so weit – aber die Regeln, die dann gelten sollen, werden jetzt schon intensiv diskutiert. An diesem Dienstag hat der Deutsche Ethik­rat vor Journalisten seinen Ansatz erläutert.

Befürchtet wird, dass es trotz der geplanten Verdopplung der Kapazitäten für Intensivmedizin am Ende an Betten mit Beatmungsgeräten mangelt. Ärzte müssten dann entscheiden, wer die lebensrettende Beatmung erhält und wer nur noch schmerzmildernd behandelt wird. Mediziner nennen diesen Vorgang „Triage“, es ist das französische Wort für Auswahl.

Vor der Bundespressekonferenz erläuterte der Gießener Rechtsprofessor Steffen Augs­perg die Position des Ethikrats zur Triage. Der Ethikrat ist ein staatliches Beratungsgremium, das 2001 eingerichtet wurde und aus Naturwissenschaftlern, Theologen und Juristen besteht. „Jedes Leben ist gleich viel wert“, betonte Augsperg die Grundposition des Ethikrats. Dies folge aus der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes. Der Staat dürfe deshalb keine Vorgaben machen, wer im Knappheitsfall gerettet wird. Jede Klassifizierung, zum Beispiel anhand Alter, Beruf oder prognostizierter Lebensdauer, müsse „seitens des Staates“ unterbleiben.

Etwas anderes sei es jedoch, wenn ärztliche Fachgesellschaften Empfehlungen zur Auswahl in dieser Situation abgeben. Deren Überlegungen seien nicht nur zulässig, sondern sogar „geboten“, so Augsperg, um in den Kliniken eine Gleichbehandlung nach einheitlichen Kriterien sicherzustellen.

Bisher liegt vor allem ein Vorschlag auf dem Tisch, den die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) gemeinsam mit anderen Fachgesellschaften vorgelegt hat. Auch die DIVI will niemand generell von der Beatmung ausschließen, es soll also zum Beispiel keine Altersgrenzen geben. Die Fachgesellschaft propagiert dann aber die Auswahl anhand der „Erfolgsaussicht“ der Behandlung. Dabei sei etwa zu berücksichtigen, wie schwer die Personen jeweils erkrankt sind, welche Begleiterkrankungen sie haben und nicht zuletzt, wie ihr allgemeiner Gesundheitszustand („Gebrechlichkeit“) ist. Der Ethikrat hat gegen die Anwendung dieser Kriterien keine Bedenken.

„Jedes Leben ist gleich viel wert“

Steffen Augsperg, Ethikrat

Es gibt aber auch einen Dissens zwischen Ethikrat und DIVI. So wollen die Intensivmediziner ihre Kriterien auch dann anlegen, wenn schon alle Beatmungsgeräte belegt sind und nun ein neuer Patient hinzukommt. Auch hier solle es auf die Erfolgsaussichten ankommen. Wenn es die Auswahl ergibt, müsste also ein bereits künstlich beatmeter Patient auf sein Gerät verzichten und dann mit hoher Wahrscheinlichkeit sterben. Für DIVI wäre dieser Auswahlprozess genauso rechtmäßig, wie wenn zwei neu ankommende Patienten um ein freies Beatmungsgerät konkurrieren.

Der Deutsche Ethikrat macht zwischen beiden Konstellationen dagegen einen Unterschied. Wenn die Beatmung eines Patienten beendet werde, müsse dies als rechtswidrig eingestuft werden. Strafrechtlich würde der Arzt dabei einen „Totschlag“ begehen. Der Ethikrat will Ärzte dann zwar nicht ins Gefängnis stecken. „Das Rechtssystem ist flexibel genug, um die Tragik zu berücksichtigen“, sagte Augs­perg. Die Tat sollte dann als „schuldlos“ behandelt werden. Praktischer Unterschied: Die Angehörigen dürften hier mit Gewalt verhindern, dass der Arzt das Gerät abschaltet.

Es gibt aber auch generelle Kritik an den DIVI-Kriterien. „Die Prüfung der Erfolgsaussicht diskriminiert Behinderte“, sagt die Grünen-Sozialpolitikerin Katrin Langensiepen, einzige weibliche Europaabgeordnete mit sichtbarer Behinderung. Die negative Berücksichtigung von „erhöhter Gebrechlichkeit“ verringere die Chancen auf eine lebensrettende Behandlung. Langensiepen fordert DIVI auf, ihre Empfehlung zurückzuziehen.