Unis in Berlin starten Sommersemester: Leerer Bauch studiert nicht gern

Im beginnenden Sommersemester wird vieles digital laufen. Doch viele Studierende haben andere Sorgen – vor allem finanzielle.

Der Vorplatz vom Hauptgebäude der Humboldt-Universität ist fast menschenleer

Bleibt weiterhin ziemllich leer: Die Humboldt-Uni in Mitte Foto: reuters

BERLIN taz | An den Berliner Hochschulen startet an diesem Montag der Vorlesungsbetrieb im Sommersemester 2020 – die Hörsäle bleiben aber leer. Das Corona-Virus hat den akademischen Lehrbetrieb in den Shutdown geschickt – und im Unterschied zu den Schulen, wo eine teilweise Wiederöffnung der Klassenräume beginnt, wird es für die für fast 200.000 Studierenden und ihre Professoren für das gesamte Semester im Ersatzbetrieb via Homeoffice bleiben.

Berlins Regierender Bürgermeister und Senator für Wissenschaft und Forschung, Michael Müller (SPD), spricht von „einem Sommersemester, das es so in der Geschichte unserer Stadt noch nie gab“. Weil wegen der Corona-Pandemie Studium und Lehre nicht wie gewohnt auf dem Campus stattfinden können, haben nach seiner Feststellung „unsere Hochschulen in den vergangenen vier Wochen unter Hochdruck und mit viel Herzblut daran gearbeitet, ihren Studierenden ein möglichst umfassendes Angebot an digitalen Seminaren und Vorlesungen machen zu können“.

So seien an den drei Universitäten HU, FU und TU bislang 80 Prozent des Lehrangebots auf digitale Formate umgestellt worden, bei den Fachhochschulen seien es sogar 90 bis 100 Prozent. Auch die künstlerischen Hochschulen wie die Universität der Künste oder die Kunsthochschule Weißensee hätten den Anteil der digitalen Lehre nach Senatsangaben auf inzwischen mehr als 50 Prozent gesteigert.

In seiner Erklärung zum Semesterstart spricht Müller allerdings auch den Fakt an, “dass nicht alle online lehren und studieren können“. Hierfür seien „kulante Regelungen vereinbart“ worden. Zudem unterstütze der Senat als Träger der Hochschulen selbige mit zusätzlichen 10 Millionen Euro im Rahmen des „VirtualCampusBerlin“-Sofortprogramms sowie mit Fortbildungsmaßnahmen für digital Lehrende. „Wir wollen auch Studierenden helfen, die nicht über die technische Ausstattung zur Teilnahme am digitalen Studium verfügen“, versichert Müller.

Viele Jobs weggebrochen

Für viele Studis ist das digitale Studium zu jetzigen Zeitpunkt allerdings das kleinere Problem. Wer in der Vergangenheit nebenher jobben musste, um Lebensunterhalt und Studium zu finanzieren, dem sind mit dem Ausknipsen von Gastronomie und Eventbranche viele Verdienstmöglichkeiten weggebrochen.

Beim Studierendenausschuss (Asta) der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Oberschöneweide laufen derzeit die Hilferufe zusammen, berichtet Asta-Vorsitzende Stefanie Döring. „Viele wissen nicht, wie sie demnächst ihre Miete bezahlen sollen“, erklärt die Studentin der Betriebswirtschaft gegenüber der taz. „Für sie sind andere Sorgen im Moment brennender als das Online-Studium.“

Mit einer Umfrage unter den 14.000 Studierenden will der HTW-Asta jetzt die Lage genauer erfassen. Als provisorische Hilfe wird an die Enrichtiung eines Corona-Nothilfe-Fonds gedacht, aus dem mit 100 Euro pro Fall soziale Nothilfe geleistet werden könnte.

An der etwas kleineren Kunsthochschule Weißensee (850 Studierende) hat der Asta eine solche Umfrage bereits durchgeführt. Drei Viertel der 362 Befragten machten sich sehr große Sorgen um ihre finanzielle Zukunft, weil konkret bei zwei Dritteln das Einkommen teilweise oder ganz wegfällt. 57 Prozent gaben an, dass sie jetzt „schnell eine neue Erwerbstätigkeit finden müssten.“

Konkret können von den Weißensee-Studies 26 Prozent ihre fixen Kosten wie Miete und Versicherungen nicht mehr bezahlen. 3,3 Prozent befürchten sogar, in die private Insolvenz zu laufen. Über die Hälfte muss die künstlerische Tätigkeit einschränken, weil etwa Materialien nicht mehr bezahlt werden können. Jeder Zehnte der Befragten hat Kinder oder Familienangehörige, die gepflegt werden müssen.

“Dadurch entsteht eine große Belastung und Unsicherheit, wie das Semester zu schaffen ist“, stellt der Asta der Kunsthochschule fest. „ Es besteht ein erhöhter Stresslevel aufgrund von psychischen Belastungen, Platzmangel, Kinderbetreuung; Familienangehörige oder sie selbst gehören zur Risikogruppe“. Einige stellen sich laut Asta bereits die Frage, ob sie das Studium abbrechen sollen. „Zur Zeit halten es knapp 62 Prozent der Studierenden nicht für möglich, das kommende Semester in voller Form durchzuführen“, lautet ein Fazit der Weißensee-Umfrage.

Forschen für die Krise

Auch die Notlage außerhalb des akademischen Betriebs treibt Berlins Studierende um. „Die Wissenschaft zeigt in der Krise tägliches Engagement“, hat Michael Müller festgestellt: „Chemielabore an Hochschulen stellen Desinfektionsmittel her, Studierende produzieren Masken und Schutzkleidung, oder helfen freiwillig in der Pflege und Gesundheitsversorgung mit.“ Dies sei hoch anzuerkennen.

An der Kunsthochschule Weißensee werden derzeit etwa Schutzmasken in der CAD-Werkstatt von den Werkstattmitarbeitern und einzelnen Studierenden entwickelt und im 3D-Druck-Verfahren hergestellt. Die Verteilung wird über die Webseite makervsvirus.org organisiert und geht in die Region, darunter an das Rote Kreuz in Potsdam. „Das alles passiert natürlich unter strengsten Sicherheitsauflagen“, versichert Hochschulsprecherin Birgit Fleischmann.

Andere StudentInnen tüfteln mit ihren Profs daran, wie man mit UV-Licht Schutzkleidung desinfizieren und wiederverwenden kann. An der TU Berlin in Charlottenburg werden Ersatzteile für medizinische Geräte (etwa Beatmungsgeräte) mit 3D gefertigt. Ein TU-Student entwickelt eine Erntehelfer-App für Landwirte. An der FU in Dahlem haben die Fachbereiche für Psychologie und Erziehungswissenschaften Video-Ratgeber erstellt: „Mit Kindern daheim – was mache ich nun?“ Und: Die Veterinärmediziner der FU bieten besorgten Haustier-Besitzern jetzt sogar schon Corona-Tests für Katzen und Hunde an.

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