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Wenn der Markt den Strom verknappt

Es gibt genügend Kraftwerke und Strom, mangels Flexibilität aber nicht dann, wenn benötigt

In Deutschland werden Lieferengpässe im Strommarkt immer zuerst mit fehlenden Kraftwerken assoziiert. So auch im Juni vergangenen Jahres, als es mehrfach eng wurde. Die anschließenden Schlagzeilen – etwa: „Blackout-Gefahr: Im deutschen Netz wurde der Strom knapp“ – konnten den Eindruck erwecken, Deutschland habe zu wenige Kraftwerke.

„Bisher haben wir in Deutschland rein technisch gesehen genug Reservekraftwerke, um die Energiewende abzusichern“, sagt Thorsten Lenck, Strommarktexperte bei der Denkfabrik Agora Energiewende. Doch würden „flexible Kapazitäten und Nachfrageflexibilität aufgrund der Organisation des Strommarktes und anderer Regularien nicht immer eingesetzt, obwohl sie zur Verfügung stehen“.

Es sind die Spielregeln, die Probleme bereiten. Regularien, die dafür sorgen sollen, dass im Bedarfsfall die technischen Reserven auch im Markt aktiviert werden können – etwa über den Regelenergiemarkt. Dessen Funktionsweise beschreibt die Branche gerne am Beispiel eines Hausmeisters, der dafür Sorge zu tragen hat, dass der Hof täglich von Schnee befreit wird. Nun hat der Hausmeister zwar Arbeitskräfte genug, aber er kann sie im Fall von Schneefall nur dann einsetzen, wenn er sie vorab für die Bereitschaft gebucht hat. Genauso ist es mit den Kraftwerken. Werden diese nicht vorab für einen möglichen Einsatz kontrahiert, stehen sie dem Markt im Bedarfsfall nicht zur Verfügung. Was bei Engpässen ganz anders zu bewerten ist, als wenn es rein physisch zu wenig Kraftwerke gibt.

Weil der Regelenergiemarkt aber nicht immer optimal funktionierte, hat die Bundesnetzagentur als zuständige Regulierungsbehörde reagiert: Bis Anfang November muss das Marktmodell, nach dem die Übertragungsnetzbetreiber als Systemverantwortliche flexible Kraftwerke abrufen, neu organisiert werden. Regelarbeitsmarkt heißt das (auch von der EU propagierte) neue System.

Und es gibt noch eine weitere Baustelle am deutschen Strommarkt: die Struktur des Großhandels. Denn dieser ist heute so aufgebaut, dass der Strom überall im Land gleich teuer ist, selbst wenn in manchen Regionen Strom knapp ist und in anderen Überschuss herrscht. Folglich tut man an der Strombörse einfach so, als könne jede Kilowattstunde, egal wo sie erzeugt wird, jederzeit zu jedem Abnehmer gelangen.

Weil das nicht zutrifft, ergeben sich Marktverwerfungen, die zu regionaler Stromverknappung führen können. „Widersinnig“ nennt dieses Modell auch Andreas Jahn von der Denkfabrik Regulatory Assistance Project (RAP). Energiemarktexperten propagieren daher seit Jahren zwei bis vier Preiszonen in Deutschland, wie es sie zum Beispiel in skandinavischen Ländern gibt.

Ein noch weiter gehendes Modell ist ein nodales Preissystem (node ist der Knoten), wie es etwa die USA kennen. Das heißt: Es wird ein individueller Preis für jeden Ein- oder Ausspeisepunkt des Höchstspannungsnetzes bestimmt, der die aktuellen Netzrestriktionen abbildet. Das schafft Anreize, speziell dort Kraftwerke zu betreiben, wo sie am nötigsten sind – und zuerst dort abzuschalten, wo man sie am wenigsten braucht. Entsprechend propagiert auch Karsten Neuhoff vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung „ausreichend kleine Preiszonen, die Engpässe abbilden, oder alternativ nodale Preise“. Denn nur so schaffe man ausreichend Marktanreize, um die Flexibilitäten, die durch Erzeuger und Verbraucher im Netz bereits vorhanden sind, auch optimal zu nutzen.

So lohnt es sich, wenn von „Stromknappheit“ die Rede ist, nicht nur auf Kraftwerke, Leitungen und Stromverbraucher zu schauen, sondern vor allem auf eine mögliche Fehlsteuerung durch Marktmechanismen. Bernward Janzing

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