Ex-AfDler wird Enthüllungsjournalist: Es wallrafft in Bremen

Seine Mitgliedschaften in der AfD und der rechtspopulistischen BIW waren ein „Experiment“, sagt Hinrich Lührssen. Jetzt schreibt er ein Buch.

Das Foto zeigt den griesgrämig dreinschauenden Hinrich Lührssen

Nach Mitgliedschaften in AfD und BIW gibt er sich geläutert: Der ex-Reporter Hinrich Lührssen Foto: Eckhard Stengel/Imago Images

BREMEN taz | | Hinrich Lührssen wird Enthüllungsjournalist. Nachdem er früher einmal launige Beiträge für das Radio-Bremen-Regionalmagazin „buten un binnen“ über niedersächsisch-bremische Grenzen auf Campingplätzen machte oder für „Stern TV“ als „Pommes-Polizist“ unterwegs war, schreibt er nun ein Buch. Über die AfD. Und über die rechtspopulistische Bremer Wählervereinigung „Bürger in Wut“ (BIW).

Denn nun ist es beendet, sein 22-monatiges „persönliches und journalistisches Experiment“, wie er sagt. Das sah folgendermaßen aus: Im Sommer 2018 trat Lührssen in die AfD ein, um als ihr Spitzenkandidat für die anstehende Bremer Bürgerschaftswahl anzutreten. Seinen Parteieintritt begründete er damit, dass Bremen eine „starke konservative Kraft“ bräuchte.

Es müsse auf Themen wie „die anhaltende Vergeudung von Steuergeldern, auf die enorme Verschuldung, auf die Versäumnisse in der Bildungspolitik und auf die Hilf- und Handlungslosigkeit in der Asylpolitik klare konservative Antworten geben“.

Nachdem allerdings der durch einen angeblichen Kantholz-Angriff bundesweit bekannt gewordene Bremer AfD-Landeschef Frank Magnitz Lührssens Plan, Spitzenkandidat zu werden, in letzter Minute durchkreuzt hatte, verließ Lührssen im Februar 2019 die AfD wieder. „Der Spuk ist endlich beendet“, teilte er mit – und wechselte zur Bremer AfD-Konkurrenz, den Bürgern in Wut.

Hinrich Lührssen, Journalist

„Ich will nicht mehr als rechts gebrandmarkt werden“

Auch dort wurde Lührssen, der aufgrund seiner politischen Tätigkeit nun keine journalistischen Aufträge mehr erhielt, Spitzenkandidat. „Weil er Klartext redet“, stand auf seinen Wahlplakaten für die BIW.

„Er hat sich sehr eingebracht und sich intensiv am Wahlprogramm beteiligt“, sagt der BIW-Vorsitzende Jan Timke. Er erinnere sich noch, dass damals in einschlägigen sozialen Netzwerken Gerüchte kursiert hätten, nach denen Lührssen „ein U-Boot“ sei: „Darüber haben wir natürlich auch gesprochen.“ Lührssen habe das aber glaubhaft von sich gewiesen. „Sein Eintritt bei uns war ein ernsthaftes Anliegen.“

Dass Lührssens Ausflug in die rechte parteipolitische Welt ein „Experiment“ gewesen sein soll, glaubt er nicht: „Vielleicht steckt eher dahinter, dass Not erfinderisch macht.“ Denn schließlich hat’s mit der Kandidatur für die BIW auch nicht geklappt; Lührssen verpasste im Mai 2019 den Einzug in die Bürgerschaft. Und Jobs als Reporter hat er auch keine mehr.

Er habe die deutsche Flüchtlingspolitik nach 2015 kritisch gesehen, sagt Lührssen. Gleichwohl sei von Anfang an klar gewesen, dass es sich bei seinem Eintritt in die AfD um ein Experiment handeln sollte „und dass ich ein Buch darüber schreiben will – allerdings mit offenem Ausgang und natürlich nicht so wie Wallraff. Schließlich bin ich ja mit meinem echten Namen aufgetreten.“ Bei den Bürgern in Wut habe er dann weitere politische Erfahrungen sammeln wollen.

Während er über die BIW nicht viel zu erzählen hat, außer dass sein Buch die Frage beantworten wird, „was die Bürger in Wut mit Hygiene-Spray und Nahrungsergänzungsmitteln zu tun haben“, hat er über die AfD eine ganze Menge zu sagen: Dass dort die Demokratie in Deutschland mit der DDR-Diktatur gleichgesetzt werde. Dass über Angela Merkel behauptet werde, sie habe als „IM Erika“ für die Stasi gearbeitet. Dass die Kanzlerin den „Morgenthau-Plan“ verwirklichen wolle. Dass Geflüchteten der Tod gewünscht und Xavier Naidoo als Nationalheld verehrt werde. Und dass es all das, so glaubt es zumindest Lührssen, „im Jahr 2018 so noch nicht gegeben hat. Da ging es noch viel mehr um den Ärger über die Flüchtlinge.“

Nichts von alldem, was Lührssen der AfD oder zumindest vielen ihrer Mitglieder vorwirft, ist neu. Aber vielleicht behält er die spektakulärsten Enthüllungen auch für sich, schließlich will er ja, dass die Menschen sein Buch kaufen, das im Herbst erscheinen soll. Da soll es nämlich auch um den „Umgang mit Steuergeldern und falschen Bescheinigungen“ und „die Hintergründe der Kantholz-Affäre“ gehen. Weiß er gar, wer die Täter waren? Natürlich verrät er nicht, was er damit meint: „Die Kantholz-Geschichte soll eine Überraschung werden“, sagt er.

Austritt per Whatsapp

Timke sieht dem Buch gelassen entgegen: „Ich wüsste nicht, was es über die BIW zu enthüllen gäbe“, sagt er. „Ich fände es aber einen groben Vertrauensmissbrauch, wenn er über interne Vorstandssitzungen schreiben würde.“ Viele BIW-Mitglieder seien menschlich sehr enttäuscht von Lührssen: „Er war zwar schon seit Monaten inaktives Mitglied, aber wir hatten nie irgendeinen Dissens.“

Und schließlich sei Lührssen nicht nur schweigender Beobachter gewesen, sondern Spitzenkandidat: „Auch für die AfD wollte er das ja werden – damit sollte man keine Experimente machen, schließlich missbraucht man damit das Vertrauen der Wähler. “ Er hätte sich wenigstens ein persönliches Gespräch gewünscht, Lührssen aber habe seinen Austritt per Whatsapp erklärt.

Nicht alles, was er getan habe, sei durchdacht gewesen, sagt Lührssen und: „Ich will nicht mehr als rechts gebrandmarkt werden.“ Der Frage, ob denn irgendjemand eingeweiht gewesen sei in sein „Experiment“ und seine Buchpläne, weicht er aus. Sein ehemaliger Auftraggeber Radio Bremen jedenfalls weiß von nichts: „Herr Lührssen hat uns nicht darüber informiert hat, dass er ein journalistisches Experiment plant oder ein Buch schreibt“, heißt es dort.

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