Tu so, als wär’s
das letzte Mal

Gabi Delgado-Lopez war ein radikaler Künstler, ein Tänzer, Sänger und Dichter. Mit seiner Band Deutsch Amerikanische Freundschaft hat er Popgeschichte geschrieben. Er starb in Spanien

Sein Publikum sprach Gabi Delgado-Lopez gern liebevoll als „Jungs und Mädchen“ an Foto: Imago

Von Ulrich Gutmair

Lange schwarze Wimpern umrahmen die Augen von Gabi Delgado-Lopez. Er blickt dem Betrachter ins Gesicht. Seine nackte Haut ist schweißnass. Man kann sich nur ausmalen, was er gerade gemacht hat. Hat er getanzt oder hat er sich geschlagen oder hatte er Sex? Schön, jung und stark sehen Gabi Delgado-Lopez und Robert Görl auf dem schlichten Cover ihres Albums „Alles ist gut“ aus, aber auch melancholisch, verführerisch und verletzlich. Am Montag gab Robert Görl bekannt, dass sein Freund und Kollege Gabi Delgado in der Nacht zuvor gestorben ist.

„Alles ist gut“ erschien 1981. Solche Musik hatte man vorher noch nie gehört. Und viele, die sie hörten, waren nachher nicht mehr dieselben. Conny Plank hat dieses epochale Album produziert. Gabi Delgado-Lopez wusste, dass DAF damit Geschichte geschrieben haben. Er neigte nicht zu koketter Bescheidenheit und sagte, wie es ist: „Heute ist 80 Prozent der Musik, die in Clubs läuft, nach DAF-Regeln produziert. Es gibt keine Strophe und keinen Refrain. Was wir geschaffen haben in der Musik, das war, wie soll man sagen, von der Dampfmaschine zur Verbrennungsmaschine.“ Dieser Sound war simpel und doch rhythmisch kompliziert. Robert Görl ist ein Jazzdrummer. Er programmierte auch die Sequenzen für den Korg-Synthesizer.

Gabi Delgado-Lopez hatte sich das Cover von „Alles ist gut“ ausgedacht. Er war ein Künstler und Tänzer, ein Sänger und Dichter. Zu Görls Körpermusik schrieb er Texte, die meist aus nicht mehr als zehn Zeilen bestanden. In der Wiederholung beim Singen variierte er sie. „Als wär’s das letzte Mal“ etwa ist schnell zitiert: „Drück dich an mich / So fest wie du kannst / Küss mich / Liebe, küsse mich / Küss mich, mein Liebling / Bitte tu so / Als wär’s das letzte Mal / Gib mir / So viel, wie du kannst / Glaube mir / Ich liebe dich, mein Liebling / Gib mir deine Küsse.“

Es ging bei DAF oft um Sex. Delgado nannte es seine musikalische Initiation, als er in einer Schwulendisco zum ersten Mal Donna Summers „I feel Love“ hörte: „Da dachte ich, Sex und Elektronik, das ist es. Das ist es.“

Das L intonierte Delgado in seinen Liedern mit Lust und Überschwang, so wie manche Schlagersänger der Dreißiger. Seine Vokale sang er mit einer dunklen Färbung. Er spielte mit historischen Referenzen, wenn er beim Vortrag von „Der Mussolini“ an den melodramatischen Duktus und die Vokalität Adolf Hitlers erinnerte. DAF machten Musik für die Enkel der Kriegsgeneration und ihr größter Hit war „Mussolini“. New-Wave-Kids in ganz Europa tanzten dazu in jeder Disco, in der man das Stück spielen durfte.

Tanz den Jesus Christus und jetzt den Kommunismus

Im „Mussolini“ trieben DAF ihre Liebe zur Provokation auf die Spitze: „Geh in die Knie / Und klatsch in die Hände / Beweg deine Hüften / Und tanz den Mussolini / Tanz den Mussolini / Tanz den Mussolini / Dreh dich nach rechts / Und klatsch in die Hände / Und mach den Adolf Hitler.“ Eiin treibender Beat und Gesang. Irgendwann reimt sich Jesus Christus auf Kommunismus. Im Hintergrund Stimmen von Frauen, die klingen, als würden sie Zaubersprüche ausstoßen. Auf den Dancefloors sprangen damals alle wild durch die Luft und rempelten sich sachte dabei an.

Natürlich mussten sich DAF den Faschismusvorwurf anhören. Aber weit skandalöser für die westdeutsche Gesellschaft der 1980er war, dass sie schwul wie Stricher aussahen, in ihren engen Lederklamotten. Ihr anderer Hit, „Der Räuber und der Prinz“, war ein schwules Märchen, das die Brüder Grimm hätten schreiben können, wären sie denn queer gewesen.

Seit fünfzehn Jahren lebte Gabi Delgado-Lopez wieder in Córdoba, wo er 1958 geboren wurde. Sein Vater, ein Philosophielehrer, hatte „unter abenteuerlichen Bedingungen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion“ aus dem frankistischen Spanien fliehen müssen. Gabis Mutter begleitete den Vater, einen linientreuen Kommunisten, nach Deutschland.

„Mein Vater war ein gebildeter Mensch, konnte aber kein Wort Deutsch, so hat er als Hilfsarbeiter bei den Kabelwerken Rheinshagen angefangen“, hat Delgado mir während eines Interviews erzählt, das vor zehn Jahren in der taz erschienen ist. Gabi wuchs bei seiner Großmutter auf. Acht Jahre alt war er, als er 1966 nach Deutschland kam. Erst nach Remscheid, dann zog die Familie nach Wuppertal. „Und als ich dann nach Deutschland geholt wurde, waren das mein Vater, meine Mutter, zwei Kinder, dann wurde das dritte geboren, in einem Zimmer. Mit Pisspott statt Toilette, also unter inframenschlichen Bedingungen.“

Gabi Delgado-Lopez war ein radikaler Künstler und ein durch und durch politischer Mensch. Als Kind war er in der Antiimperialistischen Liga. In unserem Gespräch, dessen Anlass unter anderem Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ war, sagte er: „Alle westlichen Länder haben eine historische Schuld gegenüber der Dritten Welt. Unser ganzer Reichtum basiert auf dem Elend der Dritten Welt. Ich bin ein ganz großer Gegner der Abschiebepraxis. Diese armen Menschen, die verhungern in ihren Ländern, die politisch verfolgt werden oder einfach nur Wirtschaftsflüchtlinge sind: Wir schulden diesen Leuten so viel, dass sie alle aufgenommen werden müssen.“