piwik no script img

Nistkästen wider die Friedhofsflucht

Evangelische Friedhöfe in Niedersachsen bemühen sich darum, nicht nur Bienen, sondern auch andere Insekten mithilfe von Biodiversität anzulocken. Ziel ist, diese Orte zu Parks mit hoher Aufenthaltsqualität zu machen und wieder mehr Bestattungen zu generieren

Von Joachim Göres

Den Friedhof insektenfreund­lich­ gestalten – das wollen nun evangelische Kirchen­gemeinden in Niedersachsen, die derzeit am Projekt „Landschaftswerte – Biodiversität auf kirchlichen Friedhöfen“ der Landeskirche Hannover teilnehmen.

Auf dem Friedhof der St.-Georg-Kirchengemeinde Meiner­dingen­ bei Walsrode etwa wurde 2019 eine Allee aus Hainbuchen­ und Weißdorn, ein kleiner Birkenhain­ und mehrere­ Obstbäume,­ eine Wildstrauchhecke sowie Stauden- und Heideflächen­ gepflanzt.

Auf dem Friedhof der Insel Borkum wiederum verwandelte sich eine einstige Rasenfläche in ein wellenförmiges Staudenbeet, das inzwischen Schmetterlinge und Hummeln anzieht. Eine neue Totholzhecke­ dient zudem Insekten, Vögeln und Kleinsäugern als Lebensraum.

In Suderburg bei Uelzen wurden Stauden- und Heidenbeete auf Freiflächen angelegt. In den nächsten Jahren soll noch mehr Rasen in Heide umgewandelt werden. Zusätzlich wurden 20 Bäume gepflanzt, drumherum­ wachsen bienenfreundliche Wildkräuter.

„Es gibt immer mehr Anfragen von Menschen, die ihre Gräber­ insektenfreundlich gestalten wollen“, sagt Günther Schröder,­ Klimaschutzbeauftragter­ der St.-Remigius-Kirchengemeinde Suderburg. „Die Zahl dieser Gräber wächst leider nicht so schnell wie die der Kieselsteingräber. Viele Menschen denken, dass solche insektenfeindlichen Steingräber keine Pflege brauchen – das stimmt aber nicht. Wir setzen auf die Einsicht der Menschen. Laut Friedhofs­satzung muss jedes Grab bepflanzt werden.“

Insektenhotels dagegen gibt es schon lange auf dem Suderburger­ Friedhof, der aber vor einem grundlegenden­ Problem­ steht: Immer mehr Menschen lassen sich in Friedwäldern beerdigen. Eigentlich eine schöne Lösung – wenn man davon absieht, dass die einsame Lage spätere Besuche an der Grabstätte etwa für Frauen erschwert. Die Folge dieses Trends ist allerdings, dass die Zahl der Grabstätten auf Friedhöfen seit Jahren sinkt – was es schwerer macht, sie wirtschaftlich zu führen. „Wir bieten neuerdings auch Baumbestattungen mit einem Grabfeld mit Namen bei uns an, da gibt es bereits erste Anfragen.­ Wir übernehmen die Pflege, das ist für viele Menschen sehr wichtig“, sagt der Suderburger Klimaschutzbeauftragte Schröder.

Die ökologische Aufwertung ist Teil einer Attraktivierung der Friedhöfe etwa durch mehr Sitzgelegenheiten und bessere Wege sowie Veranstaltungen wie Gemeindefeste. Der Friedhof­ soll sich immer mehr zu einer parkähnlichen Fläche entwickeln, auf der sich Menschen gern aufhalten.

Außer den Obstbäumen kommen auf den neun Friedhöfen des Hannoverschen Projekts alle Gehölze aus der Region. Bei den Staudenmischpflanzungen werden heimische Wildstauden mit nicht heimischen, aber insektenfreundlichen Stauden und Zwiebelpflanzen kombiniert. „Wenn man mehrjährige Stauden pflanzt, entfällt die Saisonbepflanzung. Das spart Blumenerde in Plastiksäcken und Plastiktöpfe“, sagt Astrid­ Lahmann,­ Referentin im Umwelt- und Klimaschutz­ bei der evangelisch-­lutherischen Landes­kirche Hannover.

In einer einjährigen Pilotstudie­ unter Leitung der Uni Rostock wird derzeit am Beispiel von einem Dutzend kirchlicher Friedhöfe in Schleswig-­Holstein und Mecklenburg-Vorpommern untersucht, wie die „Friedhofsflucht“ verlangsamt werden kann. „Schüler haben Nistkästen für den Friedhof gebaut. Die Nabu-Gruppe hat Vorrichtungen für Bienen hergestellt,­ damit sie in Schöpfbecken gut landen können“, sagt Jörg Lelke, Leiter des Stadtfriedhofs von Bad Oldesloe und ergänzt: „Biodiversität ist bei uns schon lange Thema, wir haben Teiche, Weiden und Erlen. Doch man muss auch die Umgebung im Auge haben. Unser Friedhof grenzt an ein großes Maisfeld, das können wir nicht ändern.“

In Bad Oldesloe gibt es zum Beispiel Gräber unter Stauden und Obstbäumen inmitten einer großen Rasenanlage. Derzeit wird die Friedhofsordnung überarbeitet, die viele Vorschriften enthält, die bis zu Größe und Farbe der Schriftzeichen auf Grabsteinen reichen.­ „Wir handhaben das schon jetzt locker.­ Wenn jemand einen grünen Schriftzug will, warum nicht. Ich freue mich über jeden Grabstein“, sagt Lelke.

Trotz allem geht der Trend zum oft anonymen Friedwald-Grab

Auch mit einer anderen Tradition hat er gebrochen: Normalerweise gibt es auf kirchlichen Friedhöfen keine anonymen Bestattungen.­ „Wenn das der ausdrückliche Wille des Verstorbenen ist, so ist das zu akzeptieren. Häufig steht dahinter der Wunsch, niemandem mit der Grabpflege zur Last zu fallen. Wir haben Angebote, bei denen wir die Pflege kostenlos übernehmen. Dann wird auf die anonyme Bestattung meist verzichtet.“­

Zu Lebzeiten kann man mit einer Friedhofsgärtnerei einen Vertrag abschließen, in dem geregelt wird, dass nach dem Tod das Grab dauerhaft von der Gärtnerei gepflegt wird. Die Treuhandstelle für Dauergrabpflege verwaltet diese Verträge und kontrolliert, ob sie eingehalten werden.

2018 hat die Treuhandstelle das Projekt „Bienengarten­paten“ gestartet. Heute gibt es 115 Bienengärten auf Friedhöfen in Niedersachsen und Bremen. Auf einer Fläche von 2,50 mal 2,50 Metern wurden Stauden­beete auf einstigen Freiflächen angelegt, die meist kostenlos von Friedhofsgärtnern gepflegt werden.­

Auch die Aussaat von Saatgut­mischungen − unter anderem mit Buchweizen, Borretsch, Sonnenblume, Kornblume, Margerite, Wiesen-Salbei und Steinklee −ist möglich. „Der Pflegeaufwand ist nicht gering – der Boden der Bienengärten muss, statt mit der Hacke, per Hand bearbeitet werden, um nicht die Ausgänge der Wildbienen zu zerstören“, sagt Uwe Stapelmann, Geschäftsführer der Treuhandstelle Niedersachsen/­Sachsen-Anhalt. Er betont: „Bei den Bienengärten handelt es sich nicht um eine Grabbepflanzung. Beschwerden hat es bis heute keine gegeben.“

Übersicht über bienenfreundliche Pflanzen für den Friedhof: www.bienengartenpate.de.

Weitere Infos www.friedhof-umwelt.de, Projekt Landschaftswerte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen