Wenn der Vorhang fällt

Ganz plötzlich ist die Coronaviruskrise auch in Norddeutschland ganz nah. Theater, Ausstellungs- und Konzerthäuser schließen für eine lange Zeit, wie es weitergeht, ist nicht abzusehen. Das ist schlimm für Kulturjournalist*innen wie unseren Autoren – und schlimm für die Kulturlandschaft an sich

Wenn Kultur als unwichtig anerkannt wird, bleibt das womöglich, nachdem der Virus wieder weg ist? Werden dann die Ersten sagen: Ach was, hat doch eh niemand vermisst, Ausstellungen, Theater, Clubs?

Von Falk Schreiber

Man spürt, wie sich die Krise nähert. Vor zweieinhalb Wochen die panischen Blicke am Flughafen, als die Maschine aus Rom landet und die Passagiere schnell in einen abgetrennten Bereich gelotst werden. Dann die Nachrichten aus Berlin und aus Süddeutschland, explodierende Infektionszahlen, der besorgte Anruf der Eltern: Du passt aber schon auf dich auf, Kind? Ja, sicher. Menschen­ansammlungen meiden, keinen Körperkontakt, klar. Aber was macht man, wenn man Kulturjournalist ist, wenn es der Beruf ist, rauszugehen, wenn es der Beruf ist, mit Menschen in Kontakt zu treten? Keine Sorge, ich pass’ auf.

Anruf einer Kollegin: Kannst du Anfang April zu einer Besprechung nach Köln kommen? Und gleich die Warnleuchte: nach Köln? Nach NRW? Wo ein Vielfaches mehr Menschen krank ist als hier in Hamburg? Dann ist die Krise da, dann gruselt einem nicht mehr wohlig, dann beginnt man, das eigene Verhalten zu ändern. Sich einzuschränken.

Und dann, ab Mitte der Woche, brechen die Dämme: erste Absagen, Mails mit dem Betreff „Einstellung des Vorstellungsbetriebs“. Bühnen der Stadt Kiel: Einstellung des Vorstellungsbetriebs. Theater Bremen: Einstellung des Vorstellungsbetriebs. Deichtorhallen Hamburg: Vernissage fällt aus. Das Thalia Theater, das Hamburger Schauspielhaus, das Harry-Potter-Theaterstück: ein Kartenhaus. Am Freitagvormittag eine Mail vom Staatstheater Oldenburg: Kommen Sie gerne vorbei, wir spielen. Um die Mittagszeit ein Anruf, mit brechender Stimme: Wir spielen doch nicht. Freitagnachmittag steht das kulturelle Leben Norddeutschlands still.

Und natürlich ist das schlimm, wenn man Kulturjournalist ist. Bis Ende April soll der Shutdown dauern, das sind fast zwei Monate, in denen man keine Themen hat, ergo: zwei Monate, in denen man keine Artikel schreiben kann und deswegen auch zwei Monate nicht bezahlt wird. Facebook, du großer Häme-Generator: Schon blökt jemand, dass ein Unternehmen auch mal eine Durststrecke­ aushalten müsse, sonst sei es eben grundsätzlich nicht überlebensfähig. Gibt es so viele Unternehmen, die sich einen zweimonatigen Einnahmeausfall leisten können? Keine Ahnung. Viele freie Journalist*innen können das jedenfalls nicht. Übrigens können das auch Künstler*innen, Tänzer*innen, Schauspieler*innen oft nicht. Der Shutdown wird sie ruinieren. Und das ist womöglich nicht einmal das Schlimmste.

Vielleicht geht es ums Überleben. Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Wenn wir uns nur alle einigeln, dann stecken wir uns auch nicht an, und dann ist der Spuk schnell vorbei. Gesundheitsminister Jens Spahn sagt, dass man ja wohl auch mal auf einen Clubbesuch verzichten könne. Klar kann man das. Aber was macht es aus einem Leben, wenn ein gewichtiger Teil dieses Lebens das Ausgehen ist, die Kultur, der Kontakt zu anderen? Ja, auch die Umarmungen, die Berührungen, die Küsse, verdammt noch mal! Das wird gerade weggewischt, man könne doch mal, es geht ums Überleben. Kultur ist etwas, das unwichtig wird, wo es ums Überleben geht, Merkt eigentlich noch jemand, was für ein Diskurs hier geführt wird?

Facebook, du großer Häme-Generator. Wenn Kultur als unwichtig anerkannt wird, bleibt das womöglich, nachdem der Virus wieder weg ist? Werden dann die Ersten sagen: Ach was, hat doch eh niemand vermisst, Ausstellungen, Theater, Clubs? Und hat dann noch jemand Argumente dagegen?

Mail von der Staatsoper Hannover. Sie streamen­ die Premiere „Zählen und Erzählen“ live ins Internet, super, ansteckungssicheres, cleanes Theater, die gehen mit der Zeit. Nein, sie gehen nicht mit der Zeit, sie kapitulieren. Wenn alle streamen, dann dauert es nicht mehr lange, bis der Erste sagt, dass man ja wohl die Staatsoper Hannover nicht mehr brauche, dann täten es auch drei, vier Theater, in Berlin und München und Wien, und die streamen dann den ganzen deutschsprachigen­ Raum voll, kulturelle Grundversorgung erfüllt. Ja. Nein. Weiß nicht. Kultur heißt: rausgehen. Kultur heißt: sich zu unterhalten, zu streiten. Kultur heißt: die Luft mit einem Gegenüber zu teilen und das Gegenüber zu BERÜHREN. Kultur heißt: sich angreifbar zu machen.

Sich angreifbar zu machen, das ist unter den gegebenen Umständen nicht nur verantwortungslos, das ist auch unsolidarisch. Schon kapiert. Mich machen die Absagen trotzdem fertig.