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Syrische Geflüchtete verlassen TürkeiDie ganze Nation schaut zu

Die Türkei kontrolliert die Grenzen zu Europa nicht länger und schickt Geflüchtete in Bussen zur Grenze. Das verletzt die Menschenwürde. Ein Kommentar.

Geflüchtete auf dem Weg von Edirne zur griechischen Grenze Foto: XinHua/dpa

Seitdem ich Bilder von Geflüchteten gesehen habe, die versuchen, die Türkei in Richtung Europa zu verlassen, schäme ich mich und kann kaum an etwas anderes denken. Sie machen sich in Schlauchbooten, in vollgepackten Bussen oder zu Fuß auf den Weg.

Die türkische Regierung ermutigt sie dazu. Der staatliche Sender TRT zeigt eine Landkarte mit Routen, denen sie folgen sollen, um verschiedene Länder zu erreichen. Busse werden von Stadtverwaltungen zur Verfügung gestellt, die der Regierung, aber auch zum Teil der Opposition gehören. Menschen steigen in diese Busse ein und fahren an die griechische Grenze.

Was danach passiert, interessiert Erdoğan und seine Regierung nicht. Er sagt: “Wir werden sie nicht weiter ernähren. Bis heute Morgen haben 18.000 die Grenze überschritten. Aber heute können es 25.000 bis 30.000 werden.

Die Tore werden aufgemacht, damit die unerwünschten Gäste das Land verlassen. Wenn es nicht über das Land geht, dann sollen sie bitte versuchen, den Fluss zu überqueren. Menschenhändler werden dort auf sie warten.

Nationalismus, Militarismus und Hass

Alle wissen, wie riskant es ist, im Winter den Fluß Meriç zu überqueren oder in dieser Kälte zu Fuß über die Grenze zu gehen. Mit Schlauchbooten zu den griechischen Inseln in der Ägäis zu fahren, ist noch riskanter. Das wissen die Geflüchteten, aber auch in der Türkei zu bleiben, kann für sie riskant sein.

Erdoğans Entscheidung, die Tore nach Europa zu öffnen, trägt mehrere Botschaften. Eine geht an Europa und vor allem an Deutschland und lautet, “Wenn ihr euch keine Mühe gebt, Russland und Syrien in Idlib zu stoppen, und die Türkei mit dem Projekt einer Sicherheitszone in Syrien zu unterstützen, werden wir den Weg für Vertriebene aus dieser Region freimachen.“ Aus Idlib werden nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Al Qaida-Kämpfer zusammen mit ihren Familienangehörigen kommen. Die zweite Botschaft geht an syrische Geflüchtete und lautet: “Ihr verlasst jetzt besser das Land.“ Die dritte an die Wähler, den flüchtlingsfeindlichen Teil der Bevölkerung: “Ich werde sie los, Europa soll sich jetzt um sie kümmern.“

In der türkischen Gesellschaft gibt es nach dem Luftangriff in Syrien, der 36 türkischen Soldaten das Leben kostete, viel Wut auf Assads Regierung. Es wird von Rache und Vergeltung gesprochen. Ein Teil der Bevölkerung fragt nicht einmal, was diese Soldaten zusammen mit den Hayat Tahrir al Scham-Dschihadisten, einem Al Qaida-Ableger, in Syrien zu suchen hatten.

Stattdessen äußern sie sich in den sozialen Medien mit dem Hashtag #WirWollenKeineSyrer. Sie hetzen also gegen Menschen, die in der Türkei sind, weil sie vor Assads Regime geflüchtet sind. Nationalismus, Militarismus und Hass lassen keinen Raum für Rationalität. Die Syrer und Syrerinnen wissen, dass sie unerwünscht in der Türkei sind.

Das Leiden anderer betrachten

Was sie nur nicht wissen, ist, dass sie in Europa sogar noch unerwünschter sein könnten. Trotzdem machen viele sich auf den Weg. Aber sie sind nicht die einzige Gruppe, die sich gezwungen fühlt, die Türkei zu verlassen.

Es ist herzzerreißend zu sehen, wie diese Familien, nicht nur Syrer, auch viele Afghanen und Iraner, versuchen, in einen vollgepackten Bus oder in ein Schlauchboot einzusteigen. Auf einem Foto sehe ich einen Mann, der auf einen anderen geklettert ist, um in den Bus zu kommen. Dann sehe ich ein Video, in dem ein Mann die Geflüchteten prügelnd aus dem Bus wirft, weil es keinen Platz mehr zum Sitzen gibt. Die Männer können tun nichts dagegen, lassen sich rausschmeißen. Es sieht so aus, als seien ihre Seelen für ewig verletzt.

Es gibt auch Videos von Geflüchteten, die sich gleich freudig auf den Weg gemacht haben. Auf sie richtet sich der Ärger der türkischen Gesellschaft, weil sie die Gastfreundlichkeit in der Türkei oder das Land angeblich nicht genug schätzen. Diejenigen, die sie nicht wollen, fühlen sich auf einmal beleidigt: “Wir haben euch hier unterbracht, und jetzt freut ihr euch, weil ihr nach Europa kommt?

Was mich am schwersten trifft, sind Live-Sendungen von Erdoğans Medien. Nie in meinem Leben habe ich irgendwo eine Live-Sendung gesehen, wie Geflüchtete mit Kindern und Babies in ihren Armen bis zu den Knien im Wasser stehen und versuchen, in ein überfülltes Schlauchboot einzusteigen. Alle schauen zu. Nicht nur die Küstenwache, sondern die ganze Nation.

Wir müssen live mitbekommen, wie die Menschenwürde jede Minute verletzt wird.

Ich schäme mich.

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3 Kommentare

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  • Es ist schon klar, oder? - dass es für die EU 2020 nicht in Frage kommt, Flüchtlingsströme reinzulassen?

    Es ist andererseits schlecht. Wir haben "2015" tatsächlich recht gut geschafft - durchaus, wie Angela Merkel das angekündigt hat. Wir, Mittel- und Nordeuropa vor allem, könnten es uns auch leisten, 1 Million aufzunehmen. Wir könnten viel Elend mildern.

    Dennoch ist klar, dass wir es nicht tun werden - und aus anderen als wirtschaftlichen Gründen auch nicht tun können:

    Eine solche Einwanderung bräuchte ein Minimum an gesellschaftlicher Akzeptanz, und die ist nicht gegeben.

    WENN das so ist, was folgt daraus?



    - Rigorose Grenzpolitik. So, wie sie im Moment an der griechisch-türkischen Grenze betrieben wird.



    - Sanktionen gegen die Türkei, wenn Erdowahn meint, die EU erpressen zu müssen.



    - KEIN Geld für die Türkei, es sei denn direkt an die Flüchtlinge selbst bzw. die Hilfsorganisationen.

    Erdogan und seine Anhänger sehen sich selbst als Todfeind des Westens. Sie hassen uns, verachten uns - tagtäglich hetzen die Erdo-Medien gegen uns. Wir haben keinen Grund, dieser Türkei unter die Arme zu greifen. Wenn Erdogan Hilfe sucht, soll er sich an den Großen Freund der Türkei wenden - Putin.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Wer sich solche Geschäftsfreunde aussucht, muss ich über nichts wundern.

    Für die Menschen tut es mir entsetzlich leid. Ich schäme mich. Leider hat aber niemand etwas davon.

    Das ist Ohnmacht.

  • Es ist nicht hilfreich, wenn man sich die Verantwortung dafür zuschieben lässt, was Dritte mit anderen Menschen machen.



    Auch Herr Erdogan ist für sein Verhalten selbst verantwortlich.



    Und er ist auch für die Menschen verantwortlich, die er auf seinem Territorium aus der Unterbringung in die Leere vor der Grenze lotst.



    Dafür ist nicht die EU verantwortlich.



    Wer sich das einredet, unterstützt die Rechte in der Türkei, und auch in der EU.