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Türkei startet Syrien-Offensive

„Operation Frühlingsschild“ drängt syrische Armee in Idlib zurück. Russland greift nicht dagegen ein

Von Jürgen Gottschlich

Die türkische Armee hat am Sonntag eine lang angekündigte Offensive gegen die syrischen Regierungstruppen in der Provinz Idlib gestartet. Die „Operation Frühlingsschild“ soll die syrische Armee auf Stellungen zurückdrängen, die südlich der türkischen Beobachtungsposten liegen. Durch den Vormarsch der Regierungsarmee gegen die Rebellen in Idlib in den vergangenen Wochen waren sechs der zwölf Beobachtungsposten hinter die syrischen Linien geraten.

Ziel der Operation, sagte der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar am Sonntag in einer Fernsehansprache, sei es, „die Massaker des Regimes zu beenden und eine Flüchtlingswelle zu verhindern“. Laut Akar zerstörte die türkische Armee Dutzende syrische Panzer, Hubschrauber und Haubitzen. Außerdem habe sie 2.212 syrische Soldaten „neutralisiert“. Offizielle syrische Stellen bestätigten Verluste und vermeldeten den Abschuss zweier syrischer Kampfflugzeuge. Bereits am Samstag hatte die türkische Armee nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London mehr als 70 syrische Soldaten getötet und etliche Militäreinrichtungen zerstört. Nach türkischen Angaben gehört dazu auch eine Chemiewaffenfabrik bei Aleppo, was die syrische Regierung allerdings vehement bestreitet.

Am Samstagabend hatte der türkische Präsident Erdoğan erstmals seit dem Luftangriff von Donnerstagnacht, bei dem 36 türkische Soldaten getötet worden waren, öffentlich Stellung genommen. Drohnen und Artillerie hätten Stellungen um die strategisch wichtige Stadt Sarakib an der Autobahn Damaskus–Aleppo angegriffen, nachdem Sarakib zuvor von Rebellen erobert worden war. Außerdem seien syrische Truppen bei Maarat al-Numan bombardiert worden. Erdoğan behauptete, dabei seien 300 Militärfahrzeuge zerstört worden, darunter 90 Panzer.

Auch wenn diese Angaben übertrieben sein sollten – wie so häufig –, ist der türkischen Armee offenbar ein erfolgreicher Gegenangriff gelungen. Möglich wurde das, weil die russische Luftwaffe nicht eingriff. Auch die russische S-300-Luftabwehr in Syrien wurde nicht aktiviert, was den Einsatz der türkischen Kampfbomber und Drohnen über Idlib ermöglichte. Nach dem Angriff von Donnerstagnacht hatte der russische Präsident Wladimir Putin verfügt, dass sich die russischen Truppen in Idlib neutral verhalten sollten.

Die russische Zurückhaltung und die türkischen Angriffe verschaffen den Zivilisten und Flüchtlingen in Idlib erst einmal eine kurze Atempause. Von den rund 3 Millionen Einwohnern der Provinz sind nach UN-Angaben mehr als 1 Million auf der Flucht. Die meisten von ihnen haben sich in Notunterkünften oder mit Zelten entlang der türkischen Grenze eingefunden. Die Situation ist katastrophal, Hilfstransporte der UNO kamen in den letzten Wochen nur noch vereinzelt über die Grenze.

Parallel zu den Kämpfen gab es in den letzten Tagen intensive Gespräche zwischen russischen und türkischen Delegationen über einen erneuten umfassenden Waffenstillstand in Idlib. Am Samstagnachmittag verkündeten Vertreter der Außen- und Verteidigungsministerien beider Länder, sie hätten sich auf eine Deeskalation in Idlib verständigt. Dabei seien sich beide Seiten einig gewesen, dass der Kampf gegen „Terroristen“ weitergehen soll.

Damit sind vor allem die islamistischen Milizen der Hayat Tahrir al-Scham (HTS) gemeint, die sich früher als Vertreter von al-Qaida in Syrien ausgaben und heute den größten Teil des Rebellengebietes in Idlib kontrolliert. Die Türkei hat die Islamisten in den letzten Wochen massiv aufgerüstet, etwa mit tragbaren Luftabwehrraketen. Seit Langem beklagt Moskau, dass die Türkei ihre Verpflichtung zur Entwaffnung sogenannter terroristischer Gruppen gemäß dem Waffenstillstandsabkommen zur Bildung einer Deeskalationszone in Idlib nie eingehalten hat. Doch auch die Assad-Truppen haben sich nie an den Waffenstillstand gehalten.

Das dürfte nun auch das Hauptthema bei dem für Ende dieser Woche angekündigten Treffen zwischen Putin und Erdoğan sein. Der fliegt mit westlicher Rückendeckung nach Moskau. Die Nato hatte auf einer Sondersitzung am Freitag ihre Solidarität mit der Türkei betont, und die USA machten klar, dass sie notfalls die Türkei bei ihrer „Selbstverteidigung“ in Syrien auch militärisch unterstützen werde.