die dritte meinung: Deutschland braucht ein Gesellschaftsministerium, fordert Ekin Deligöz
Ekin Deligöz
ist Mitglied des Deutschen Bundestags, Obfrau der Grünen im Rechnungsprüfungsausschuss und Mitglied im Haushaltsausschuss.
Nur an Deutsche“, hieß es im Inserat für eine Wohnung in Augsburg. „Wenigstens ehrlich“, dachte ich mir und wahrscheinlich auch die meisten Menschen mit Migrationsgeschichte, für die so was schmerzlich, aber wirklich nichts Neues ist. Ebenso wenig sind für uns die gesellschaftliche Spaltung oder der deutsche Rechtsterror etwas Neues. Im Gegenteil, dieses Narrativ des „Neuen“ spricht uns die seit jeher gemachten Erfahrungen alltäglicher Diskriminierung ab und negiert die Kontinuität rechter Gewalt. Es sind nur die Tabus eines scheinheiligen Anstands, die mittlerweile gefallen sind.
Faktisch ein Einwanderungsland, ringt Deutschland noch immer um sein gesellschaftliches Selbstverständnis. Seither wird versucht, durch Integrationskonzepte der „Diagnose“ Herr zu werden. Dabei ist heute wie damals problematisch, dass die meisten politischen Entscheidungsträger*innen noch immer vom Verständnis geleitet sind, es handele sich bei Menschen wie mich um eine Gruppe, die es zu verwalten gilt.
Wir müssen weg von einer naiven Integrations- und hin zu einer ernst gemeinten Gesellschaftspolitik. Das geht nur mit einer strukturellen und institutionellen Öffnung zugunsten von Personen of Color, Schwarzen und Bindestrich-Deutschen, aber auch LSBTI* und Frauen, die in Politik und Verwaltung noch immer eine Randerscheinung sind. Es geht um gesellschaftliche Anerkennung und darum, dass unsere Perspektiven für die Formulierung einer Gesellschaftspolitik nicht als eine Bereicherung, sondern als eine Unerlässlichkeit verstanden werden müssen. Gerade hier stellt sich die Machtfrage, wer eine Gesellschaftspolitik für wen formuliert.
Um diese gesellschaftspolitische Neuverhandlung aktiv gestalten zu können, braucht es ein Gesellschaftsministerium, das die Teilhabe aller in Deutschland lebenden Menschen nicht nur fördert, sondern auch abbildet und manifestiert. Die vornehmlich weiß und männlich geprägte Bundespolitik steht hier in besonderer Verantwortung, buchstäblich Farbe zu bekennen.
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