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Trauer, Wut und #gegenhalten

Migrantenverbände äußern nach Hanau scharfe Kritik an Politik und Medien. Der Innensenator lädt zum Sicherheitsgespräch ein

Von Susanne Memarnia

Die Türkische Gemeinde Deutschlands (TGD) findet in einem Statement zum Terroranschlag in Hanau am Donnerstag deutliche Worte: „Wir klagen diesen rassistischen Terror an. Wir klagen aber auch die Brand­stifter*innen in Politik und Medien an.“ Die in Kreuzberg ansässige Dachorganisation von bundesweit rund 260 Vereinen erklärte, es gebe einen Zusammenhang zwischen „Politiker*innen, die durch ihre achtlose Wortwahl Motive liefern und Rassismus den Boden bereiten“ und damit Ansporn würden, für „rassistische Täter zu selbsternannten ‚Problemlösern‘ zu werden. Zuerst verschieben sich die Grenzen des Sagbaren, dann kommt die Gewalt“, heißt es in der Erklärung.

Auch die Medien müssten achtgeben, nicht durch „unsensible Berichterstattung Opfer und deren Familien zu entmenschlichen, indem nur von ‚Shisha-Morden‘ die Rede ist oder von ‚fremdenfeindlichen oder ausländerfeindlichen‘ Motiven“. Die TGD stellt fest: „Diese Menschen waren Ha­nau­er*innen.“ Über sie solle berichtet werden „mit Namen, Geschichten und Mitgefühl, wie im Fall von Walter Lübcke“.

Am Mittwochabend waren in Hanau zehn Menschen ermordet worden, weitere wurden schwer verletzt. Tatorte waren Shishabars, laut Polizei haben viele der Opfer einen Migra­tionshintergrund. In einem Bekennerschreiben und -video, das der taz vorliegt, spricht der mutmaßliche Täter Tobias R., der tot in seiner Wohnung gefunden wurde, unter anderem von „Ausländerkriminalität“ in Deutschland. Eine Ausweisung von Migrant*innen könne „keine Lösung mehr sein, da die Existenz gewisser Volksgruppen an sich ein grundsätzlicher Fehler ist“. Es müssten daher mehrere „Völker komplett vernichtet werden“, erklärt der 43-Jährige.

Auch der Migrationsrat Berlin beklagt in einer Erklärung am Donnerstag „die permanente Verweigerungshaltung der Politik, sich aktiv gegen Rassismus und Rechtsextremismus zu stellen“. Er kritisiert die Medien, die von „Schießerei“ statt einem Terroranschlag schrieben und „von einem ‚wirren‘ Bekennerschreiben statt einem rechtsextremen, hassvollen Bekennerschreiben“. Die Organisation fragt: „Gab es gar keine Lehren aus dem Terror des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds? Gibt es keine Lehren aus den andauernden Angriffen auf die Unterkünfte von Geflüchteten, auf Moscheen und Synagogen, auf Frauen, die als muslimisch „erkannt“ werden, aus Hetzjagden und den Enthüllungen um neonazistische Netzwerke in Polizei- und Verfassungsschutzbehörden oder in der Bundeswehr?“

„In Hanau wurden Menschen getötet, die zu uns gehören.“

Senator Andreas Geisel (SPD)

Innensenator Andreas Geisel (SPD) bezeichnete den Anschlag am Donnerstag als einen „mutmaßlich rassistisch-rechtsterroristischem Mord“. Der Täter habe „unglaubliches menschliches Leid über Hanau und das ganze Land gebracht“, so Geisel. Im Augenblick gebe es zwar keine Bezüge nach Berlin. Er wisse aber, „dass die Menschen in unserer Stadt beunruhigt sind“, und werde daher „kurzfristig“ Vertreter*innen von Migrantenverbänden einladen, um über die aktuelle Sicherheitslage zu sprechen. Auch Geisel betonte: „In Hanau wurde keine Shishabar angegriffen. In Hanau wurden Menschen getötet, die zu uns gehören.“

Eine Gruppe namens „Kein Generalverdacht“, die sich vor dem Hintergrund der massiven Polizeirazzien in Shishabars und Geschäften in Nordneukölln zur angeblichen Bekämpfung von „Clankriminalität“ gegründet hat, rief per Facebook für Donnerstagabend zu einer Gedenkveranstaltung am Hermannplatz auf. Politiker von SPD, FDP und Grünen, darunter SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, Sawsan Chebli, Christian Lindner und Werner Graf organisierten unter dem Hashtag #gegenhalten eine Mahnwache am Brandenburger Tor.

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