Coronavirus
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Chinas mulmiges Gefühl

Das Coronavirus ruft dunkle Erinnerungen an die Sars-Epidemie mit damals rund 800 Toten wach. Von einer Panikstimmung ist Peking bislang aber weit entfernt. Haben die chinesischen Behörden aus ihren Fehlern gelernt?

Ausverkauft: Mundschutze in Pekinger Supermärkten Fotos: Jason Lee/reuters

Aus Peking Fabian Kretschmer

Die Sicherheitskräfte an den U-Bahn-Eingängen tragen sie, die Touristen mit ihren Rollkoffern ebenfalls, genauso wie die Kleinkinder an den Händen ihrer Mütter: Atemschutzmasken sind spätestens seit Dienstag omnipräsent im Pekinger Stadtbild. Etwa jeder zweite Passant auf der Straße trägt einen solchen Schutz im Gesicht – in klinischem Weiß, mattem Schwarz oder modisch-schrillen Signalfarben. Es ist der sichtbare Beweis für das zunehmende Unwohlsein innerhalb der chinesischen Bevölkerung.

„Unbequem sind die Masken, es zwickt und drückt an den Ohren“, sagt eine Endzwanzigerin im halbleeren Express-Zug in Richtung Flughafen. Genau wie 400 Millionen weitere Chinesen macht sie sich wegen des bevorstehenden Neujahrsfests zum Familienbesuch auf. Mit einem mulmigen Gefühl werde sie ins Flugzeug steigen, sagt die Angestellte einer Baufirma. Doch ihre Reisepläne aufgeben – das wollte sie dann doch nicht.

Das Coronavirus ruft allerdings dunkle Erinnerungen wach: „Das Sars-Virus ist auch weit entfernt in Südchina ausgebrochen. Doch am Ende ging es ganz schnell, bis Peking gefährlich wurde“, sagt sie: „Die ganze Stadt war de facto zugesperrt, es gab kein Rein und kein Raus.“

2002/2003 war die Sars-Epidemie ausgebrochen. Genau wie bei dem jetzigen Erreger handelte es sich auch damals um ein Coronavirus. Laut Experten scheint Sars jedoch sowohl ansteckender als auch töd­licher gewesen zu sein, zumindest die bisherigen Infektionsraten legen das nahe. Rund 800 Menschen kamen dabei ums Leben, der absolute Großteil in Festlandchina und Hongkong.

Öffentliche Parks sind belebt

Von der damaligen Panikstimmung ist die chinesische Hauptstadt nach bisher neun bestätigten Todesfällen im ganzen Land bislang noch weit entfernt: Die öffentlichen Plätze sind nach wie vor belebt, die Restaurants gut besucht, und in den Parks spielen die ­Senioren weiterhin Mahjong.

Es lässt sich allerdings leicht ausmalen, welch fruchtbaren Boden das Coronavirus zur Ausbreitung in der 21-Millionen-Metropole hätte: eiesige Apartment­anlagen, zwischen denen unzählige Essenskuriere und Online-Liferanten auf ihren Elektrorollern hin und her rasen, überfüllte U-Bahn-Züge und ein hoher Zuzug von Landarbeitern aus den Provinzen.

Doch letztendlich besteht ein guter Grund zur Annahme, dass die chinesischen Behörden ausreichend gegen das Coronavirus gewappnet sind – vor allem, weil das Land die tragische Erfahrung der Sars-Epidemie erleiden musste. Seither hat sich zudem nicht nur die Ausrüstung in den Krankenhäusern massiv verbessert, sondern auch die Infrastruktur für Forschung im medizinischen Bereich.

„Unbequem sind die Masken, es zwickt und drückt an den Ohren“,

sagt eine Endzwanzigerin aus Peking

Vor allem aber bleibt zu hoffen, dass die Behörden aus ihren Fehlern gelernt haben – denn damals gingen sie intransparent vor und versuchten viel zu lange im Sinne der öffentlichen Stabilität das wahre Ausmaß der Epidemie zu verschleiern. Genau diesem Vorwurf scheinen die Be­hörden entschieden entgegenzuwirken.

Am Dienstag hatte etwa die Kommission für Politik und Recht der Kommunistischen Partei auf dem sozialen Netzwerk Weibo ihre Kader in den Provinzen zu möglichst viel Transparenz aufgefordert. Wer Infektionen vertusche oder die Interessen des Volkes über das Ansehen von Politikern stellt, gehe „als Sünder in die Geschichte“ ein. Bei Sars habe die mangelnde Informationspolitik „der Glaubwürdigkeit der Regierung geschadet“. Nur durch konsequente Offenlegung von Informationen könne die Virus-Bedrohung eingedämmt werden.

Aufruf zu Transparenz gelöscht

Für chinesische Verhältnisse ist dies ein beachtenswertes Zeugnis öffentlicher Selbstkritik. Ebenso beachtenswert ist, dass ebenjener Weibo-Eintrag nur wenige Stunden später von dem sozialen Netzwerk gelöscht wurde. Dennoch besteht kein Zweifel daran, dass die Regierung die Bedrohung des Virus – zumindest seit dem Wochenende – sehr ernst nimmt: Präsident Xi Jinping hat höchstpersönlich in einer Rede das Thema zur Chefsache erklärt und gefordert, „die Gesundheit der Bevölkerung an die vorderste Stelle zu setzen“.

Auch politisch scheint das Land über seinen Schatten zu springen – etwa indem es die Einreise einer ­medizinischen Delegation aus Taiwan in das zentralchinesische Wuhan genehmigte, wo der Virus-Ausbruch seinen Ursprung nahm.

Gleichzeitig jedoch hat die Kommunistische Partei in Peking in den letzten Jahren enormen Druck auf den Inselstaat ausgeübt, dass dieser nicht als Beobachter bei der UN-Weltgesundheitsorganisation (WHO) zugelassen wird.

Die Kampagne der Chinesen begann ausgerechnet mit dem Amtsantritt von Taiwans Präsidentin Tsai Ing Wen, die einen Peking-kritischen Kurs fährt und gegen Chinas Machtanspruch auf Taiwan revoltiert. Aus dem Außenministerium in Taipeh heißt es, dass man einerseits zwar von den chinesischen Behörden über den Virus-Ausbruch informiert wurde. Gleichzeitig jedoch würde China dafür sorgen, dass man an den WHO-Sitzungen nicht mehr teilnehmen dürfe.

Nach wie vor belebt: öffentliche Plätze in Chinas Hauptstadt

Mehr als 11 Millionen Touristen haben Taiwan im Jahr 2018 besucht, davon rund ein Drittel aus Festlandchina. Mittlerweile wurde auch in Taiwan ein erster Fall des Coronavirus gemeldet. Von einem Sprecher der WHO heißt es, dass man im Falle eines Gesundheitsnotstandes mit den Behörden Taiwans zusammen arbeiten werde.

Bis Druckschluss stand die Entscheidung der WHO noch aus, ob wegen des Coronavirus ein Gesundheitsnotstand ausgerufen wird. Sollte dies geschehen, dann würde die UN-Organisation schärfere Maßnahmen zur Bekämpfung der Seuche empfehlen.

Zu einem radikalen Schritt hat unterdessen Nordkorea gegriffen: Am Mittwoch hat der Staat sämtliche Reiseagenturen informiert, den internationalen Tourismus im Land bis auf Weiteres pausieren zu lassen. Als Grund nannte man in einem Schrei­ben „die rapide Ausbreitung“ des Coronavirus in China.

Für die Kim-Diktatur wäre ein Ausbruch der Lungenkrankheit außerordentlich bedrohlich: Das Gesundheitssystem gilt als katastrophal, es fehlt an Medikamenten, Antibiotika und grundlegendster Ausrüstung in den Spitälern. Doch ob das Stilllegen des Tourismussektors tatsächlich zum Schutz ausreicht, ist unklar: Entlang der chinesisch-nordkoreanischen Grenze herrscht schließlich ein reger Schmuggel sowie Austausch von Waren und Personen.