„Auf der Straße werde ich angemacht“

Katharina K. kämpft um ihr Recht, ihr Studium an der Uni Kiel voll verschleiert zu absolvieren. Ihr Fall wird jetzt erneut zur Belastungsprobe für die Jamaika-Koalition in Kiel

Foto: Zeichnung: Imke Staats

Interview Harff-Peter Schönherr

taz: Frau K., Sie tragen den Niqab, eine Vollverschleierung. Was drücken Sie damit aus?

Katharina K.: Nichts. Es ist lediglich ein Gebot Gottes, und ich sehe den Sinn des Lebens darin, Gott zu dienen.

Lässt sich religiöse Hingabe nicht auch ohne besondere Kleidungsstücke praktizieren?

Religiöse Hingabe aus islamischer Sicht ist keine Sache von Meinung, Gefühl oder Wünschen. Nach dem Motto: Jeder definiert das für sich. Nein, es gibt einen klaren Maßstab im Islam für das, was Gott als Hingabe sieht und was nicht. Und zwar: Seine Gebote befolgen und sich von seinen Verboten fernhalten, egal ob diese Kleidungsvorschriften einschließen oder etwas anderes, das im Koran und den Überlieferungen des Propheten verankert ist. So ist es auch mit dem Niqab, es ist ein Gebot!

Aber die wenigsten muslimischen Frauen tragen ein Kopftuch, die meisten lassen ihr Haar unbedeckt.

Was die Mehrheit der sich dem Islam zusprechenden Menschen tut, ist kein Maßstab für das Ausleben des Islam. Egal, ob die Mehrheit sich bedeckt oder nicht, oder fastet oder nicht, maßgeblich sind die Lehren des Islam aus den Quellen. Was wiederum selbst eine Lehre des Islams ist. So verhält es sich mit allen Weltanschauungen. Niemand würde auf die Idee kommen, Wahlen für nicht notwendig zu halten in einer Demokratie, nur weil die Mehrheit nicht wählen geht. Sondern die Definition und Lehre der Demokratie sieht vor, dass Wahlen für eine funktionierende Demokratie notwendig sind.

Ihr Niqab hat für Sie also eine rein religiöse Bedeutung? Er ist kein Ausdruck eines Protests gegen die derzeitige aufgehitzte Islam-Diskussion, keine demonstrative Distanzierung von der Gesellschaft, die sie führt?

Auf gar keinen Fall ist der Niqab für mich Ausdruck von Protest oder demonstrativer Distanzierung. Ich gehe offen auf die Gesellschaft zu und partizipiere normal, ob Einkauf, Arztbesuch oder Uni. Ich habe ja auch gemeinsam mit Kommilitoninnen gelernt und bestreite ganz gewöhnlich mein Leben. Und zudem trage ich den Niqab ja nicht seit dieser unerträglichen Islam-Diskussion, sondern schon, bevor überhaupt darüber geredet wurde.

Sie studieren an der Universität Kiel Ökotrophologie. Wie ist Ihr Rechtsstreit ausgegangen, den Sie angestrengt haben, weil die Hochschule voll verschleierte Frauen von den Lehrveranstaltungen ausschließen will?

Nachdem die Uni realisiert hatte, dass sie, trotz Rechtsabteilung, auf keiner gesetzlichen Grundlage handelt, hat sie nach langem Zögern und verspätetem Antworten, unfreiwillig, durch den starken Einsatz meiner Anwältin, einlenken müssen, meine Fehlversuche aufgehoben, die ich nur auf Grund der unrechtmäßigen Richtlinie angerechnet bekommen habe, und mich sogar eine Klausur schreiben lassen – im Niqab. Daraus hat sich kristallisiert, dass es der Unileitung im ganzen Prozess nicht um eine Lösung ging, sondern um ein Verbot.

Haben Sie Ihr Studium schon abgeschlossen?

Nein, ich studiere noch. Leider wegen der Uni auch etwas länger, wahrscheinlich.

Wie reagiert Ihre nicht muslimische Umgebung darauf, dass Sie voll verschleiert gehen?

Die meisten sind natürlich erst einmal unsicher, aber sonst freundlich, egal ob im Supermarkt oder sonstwo. Besonders an der Universität waren alle sehr offen. Auf der Straße ist es jedoch anders, da werde ich täglich angemacht, bedroht, beleidigt, am häufigsten von älteren Menschen.

Es gibt ja Menschen, die schließen vom Niqab auf den Salafismus oder auf familiäre Repression. Fühlen Sie sich oft missdeutet?

Selbstverständlich fühle ich mich nicht nur missgedeutet, sondern verleumdet. Menschen sind nicht irgendwelche Ideologien, denen man Sie zuordnet. Daher versuche ich die Leute aufzuklären, dass der Niqab Teil des Islams selber ist und nicht Ausdruck einer bestimmten Gruppe des Islams.

Katharina K., 22, lebt in Kiel und studiert Ökotrophologie. Vor einem Jahr geriet sie in die Schlagzeilen, weil ein Dozent sie wegen ihres Schleiers aus der Vorlesung werfen wollte – und dabei Unterstützung von der Uni bekam, die eine entsprechende Richtlinie erließ. Das Interview wurde auf Wunsch von Katharina K. per Mail geführt

Sie sind ja noch jung. Glauben Sie, dass unsere Gesellschaft sich derzeit immer weiter weg von gegenseitigem Verständnis, immer weiter hin zur Verhärtung entwickelt?

Ich sehe eine erschreckende Tendenz im Allgemeinen, die Gewalt gegenüber Muslimen nimmt täglich zu, die Hemmungen nehmen ab. Bei jüngeren Menschen aber eher weniger; ich erlebe es ja selber.

Und wie treten Sie dem Hass gegen den Islam entgegen?

Was ich dagegen tun kann, ist, die Menschen aufzuklären und trotzdem offen auf die Gesellschaft zuzugehen. Schließlich sagte der Prophet Muhammad selber: „Der Beste von euch ist der Nützlichste für die Gesellschaft.“ Obwohl unsere Gesellschaft sich immer ihrer Toleranz rühmt, scheinen viele Menschen nicht zu verstehen, dass Toleranz bedeutet, andere Lebensvorstellungen, auch wenn man sie für falsch hält, auszuhalten, solange sie grundgesetzkonform sind und nicht, dass man alles „toll“ finden muss.

Sie klären auf, sagen Sie. Wie muss man sich das vorstellen?

Ich meine damit den Dialog an der Uni, beispielsweise wenn Menschen mir Fragen stellen. Das ist auch schon auf offener Straße passiert. Dann versuche ich, deren Bild vom Islam und vom Niqab zu verbessern. Ich denke einfach, mit seinen Mitmenschen zu reden, löst viele Probleme.