: „Es ist was faul im Staate Germany“
Ein „Hamlet“ am Gorki-Theater und „Hasta la Westler, Baby!“ im Deutschen Theater erzählen ihre Versionen deutsch-deutscher Geschichte 30 Jahre nach der Wiedervereinigung. Mit Witz und wechselnder Erkenntnis
Von Tom Wohlfarth
Während sich nach dem 30. Jahrestag des Endes der deutschen Teilung nun das Jahr des 30. Jubiläums der Einheit warmläuft, gibt es also weiter genug Gelegenheit zur Bearbeitung des Themas. Soeben auch wieder an zwei einstigen Theatern des Ostens, dem Maxim Gorki und dem Deutschen Theater Berlin.
Die Regiepartner Tom Kühnel und Jürgen Kuttner vermessen am DT die deutsch-deutsche Seele spätestens seit ihrer Inszenierung von Michael Frayns Willy-Brandt-Stasi-Spitzel-Stück „Demokratie“ (2012) mithilfe des Schlagers. In dem neuen Abend „Hasta la Westler, Baby!“ wird nun die freund-feindliche Übernahme der DDR durch die BRD musikalisch-humoristisch erzählt.
Es ist eine Art szenische Collage geworden, die als Therapiesitzung vor dem Eisernen (Theater-)Vorhang beginnt, in der West (Maren Eggert) und Ost (Peter René Lüdicke) sich nach 30 Jahren gescheiterter Vereinigung endlich einmal ungelenk umarmen dürfen. Noch bevor der Vorhang sich hebt, erscheint darauf Kuttner als schwebender Kosmonaut, die BRD-Flagge pflanzend, in der Rolle des ehemaligen Chefdramaturgen des DT, Michael Eberth. Den hatte der Intendant Thomas Langhoff 1991 als westliches Führungsfeigenblatt ans Haus geholt, um dort sonst alles beim Alten zu belassen. Eberths 2015 erschienene Tagebücher sind die Hauptgrundlage des Abends.
Bevor jedoch die Querelen am „DDR-Nostalgie-Zentrum“ DT ihren Lauf nehmen, eröffnet Kuttner den Abend noch nach Art seiner legendären Videoschnipselvorträge, um die Bühne für den ersten Song freizugeben (Livemusik: Matthias Trippner). Darin besingen Eggert, Lüdicke und Katrin Klein (am DT seit 1979) als amerikanische Ureinwohner ihre Versklavung durch den weißen Mann, bevor sie von Božidar Kocevski in einem Verkäuferseminar auf Kapitalismus getrimmt werden.
Tausendjähriger Konflikt als Schlagerslam
Dieses laut Untertitel „Deutsche Theater mit Musik“ ist ein mehrdimensionales Kolonisierungsdrama, in dem der Osten allerdings nicht nur als Opfer erscheint, sondern in Gestalt Preußens selbst als Kolonisator von Ost wie West. Ausgetragen wird dieser tausendjährige Konflikt am Ende durch einen fulminanten Playback-Schlagerslam zwischen Bonn und (Ost-)Berlin. The winner takes it all.
Das alles ist anregend unterhaltsam, und doch gab es von Kühnel und Kuttner schon klamaukig Runderes sowie dramatisch Tiefschichtigeres als diese mit einem Parforceritt durch die deutsch-deutschen Poparchive aufgepimpte Theatergeschichte.
Etwas überraschender war das Wendethema in Christian Weises „Hamlet“ am Maxim Gorki Theater. Hatte Weise in seinen letzten Arbeiten am Haus einen ähnlich wie Kühnel/Kuttner weit ins Clownesk-Varietéhafte reichenden Stil entwickelt, bedient er sich nun eines Mediums, mit dem auch K/K wohl ihr bisheriges Meisterstück – Heiner Müllers „Auftrag“ am Schauspiel Hannover (2015) – abgeliefert haben: Livevideo (hier virtuos erstellt von Jesse Jonas Kracht, Maryvonne Riedelsheimer). Das größte Drama der Weltliteratur wird – frei nach Heiner Müller – vom New Yorker Filmregisseur Horatio als surreale Seifenoper in den Gorki-Container gepfercht (brillante Kulissen: Julia Oschatz) und auf einen hölzernen Eisernen Vorhang projiziert, der nur phasenweise Durchblick auf das lebende Geschehen bietet.
Doch diese Seifenoper hat es in sich: König Claudius hat mit seinem Bruder, Hamlets Vater, nämlich den kommunistischen Weltgeist himself, Karl Marx, ermordet und nach der Heirat mit seiner Schwägerin die sozialistischen Ideen an den Markt verraten. Deutsch-deutsche Wiedervereinigung als unmoralische Familienzusammenführung anderer Art. Kurz: „Es ist was faul im Staate Germany“.
Die Tragödie der Gegenwart wird hier als Farce in die Geschichte projiziert. Doch als der Geist in Gestalt Ruth Reineckes (am Gorki seit 1979) den Auftrag erteilt: „Spiel um dein Leben!“, sinnt die junge Hamlet-Darstellerin (als hinreißende Berliner Göre: Svenja Liesau) auf Rache durchs Theater. Dabei geht letztlich nicht nur die gesamte Kernfamilie ihrer „gottverdammten Germans“ drauf, sondern auch die arabischstämmige Familie aus Polonius, Ophelia und Laertes.
Auch wenn er nach der Pause deutlich abfällt, zeigt dieser „Hamlet“ als Filmstück über ein sehr „schief vereinigtes Deutschland“ keineswegs nur die „komödiantische Hinterseite eines übergewaltigen Stoffs“ (so die Ankündigung), sondern hebt zugleich den Status quo dieses schiefen Staats in eine historische Tragik, die Weises Version, fein balanciert zwischen Klamauk und hohem Ton, nicht mehr als sichtbar machen kann. Der Rest ist hoffentlich doch mehr als Schweigen.
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