EU-Kommission zu Mindestlohn: 9,35 Euro sind ein Armutsrisiko
Die deutschen Mindestlöhne reichen laut EU-Kommissionschefin nicht für ein menschenwürdiges Leben. Die Koalition in Berlin ist gespalten.
Der Vorstoß ist Teil der Strategie von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die eine „Wirtschaft im Dienst der Menschen“ versprochen hat. Dazu gehören nach Auffassung der neuen EU-Führungsriege auch Löhne, die ein menschenwürdiges Leben deutlich oberhalb der Armutsschwelle ermöglichen. Dafür setzt sich Schmit nun ein.
Zum Jahreswechsel stieg der Mindestlohn in Deutschland um 16 Cent auf 9,35 Euro pro Stunde. Das sei nicht geeignet, vor dem Armutsrisiko zu schützen, heißt es in einem Kommissionspapier, das mit Arbeitgebern und Gewerkschaften diskutiert werden soll. Dafür liege er mit knapp 50 Prozent des Medianlohns zu niedrig. Anders als beim Durchschnittslohn verdienen beim Medianlohn gleich viele Personen mehr oder weniger. In Deutschland liegt er bei 3.304 Euro brutto.
Nach Auffassung von Experten muss der Mindestlohn bei 60 Prozent des Medians liegen, um vor Armut zu schützen. In Ländern wie Frankreich oder Bulgarien ist dies bereits heute der Fall. Andere EU-Mitglieder wie Schweden, Österreich oder Italien haben bisher allerdings noch überhaupt keinen gesetzlichen Mindestlohn, 22 Mitgliedsländer schon. Die Kommission kritisiert neben Deutschland auch Tschechien, Estland und Malta.
Kein Zwang zum Mindestlohn
Andere Länder setzen auf Tarifvereinbarungen – und sind damit bisher ganz gut gefahren. Schmit will ihnen auch künftig keinen Mindestlohn aufzwingen, wohl aber dafür sorgen, dass der Lohn der Produktivität entspricht und vor Armut schützt. Es gehe nicht um Gleichmacherei, sondern um eine Harmonisierung nach oben, heißt es in Brüssel.
Die Gewerkschaften können damit gut leben, die Arbeitgeber haben jedoch Widerstand angekündigt. Lohnpolitik gehöre nicht zu den Aufgaben der EU-Kommission, meinen sie. Wie das Tauziehen ausgeht, ist unklar. Die Brüsseler Behörde will zunächst die Konsultationen mit den Sozialpartnern abwarten.
Vermutlich noch vor der Sommerpause will die EU-Kommission dann einen Gesetzesvorschlag einbringen. Dieser Vorschlag könnte dann unter deutschem EU-Vorsitz diskutiert werden, der am 1. Juli beginnt. Der Bundesregierung müsste dann für eine Einigung sorgen. Fast 200.000 Personen sind hierzulande auf staatliche Hilfen angewiesen, obwohl sie in Vollzeit arbeiten. Die Koalition ist sich beim Thema nicht einig: Die SPD fordert 12 Euro, die Union bremst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies