Aggression auf Twitter: Don’t @ me, Arschloch

Künftig sollen Nutzer*innen bei Twitter einstellen können, wer ihnen antworten darf. Ob das den Hass ein­­dämmen wird, werden erst Tests zeigen.

Zähnefletschender Hund vor einem Rechner

Bevor bellende Hunde beißen: Hass und Gewaltandrohungen sind für viele Twitter-Nutzer*innen Alltag Foto: James Porto/getty images

Neue Produkte und Innovation aus der Elektronik- und Digitalbranche werden gern am Anfang jedes Jahres in Las ­Vegas vorgestellt. Auf der International Consumer Electronics Show machen in diesem Jahr jedoch nicht nur die Gadget-Hersteller von sich reden, sondern auch der Kurznachrichtendienst Twitter. Bei einem Pressegespräch mit dem Vizepräsidenten Kayvon Beykpour wurde ein Plan zur Änderung der Antwort­optionen auf dem Dienst angekündigt.

Zunächst testweise sollen Nutze­r*innen die Möglichkeiten erhalten, bereits bei der Erstellung eines Tweets den Kreis der Antwortenden einschränken zu können. Entweder dürften wie gehabt alle anderen (außer geblockten Accounts selbstverständlich) Replies senden dürfen oder nur jene, denen man selber folgt. Noch reduzierter gäbe es die Variante, lediglich direkt angesprochenen Twitter*innen eine Antwort zu gestatten oder gleich gar niemandem.

Zumindest für einige Use­r*innen könnten diese selbstbestimmten Einschränkungen hilfreich sein, um Probleme bei der Nutzung von Twitter zu bewältigen. Und Probleme gibt es so einige. Das Konversationsgebaren einer großen Zahl der Nutzer*innen hat über die Jahre ein schlimmes Niveau erreicht. Dabei sind die Kaskaden persönlicher Beleidigungen, absichtlicher Missverständlichkeiten, abwertender Kommentare und anderer Niederträchtigkeiten nicht einmal der größte Anlass zur Sorge.

Eine hohe Zahl an offenen Hassbotschaften, rassistischen, antisemitischen und sexistischen Angriffen auf liberale und linke Nutzer*innen, dazu mehr oder weniger verschleierte Gewaltaufrufe füllen die Timelines der Nutzer*innen. Das verbindet man vielleicht eher mit einem Mobilisierungstreffen enthu­­sias­tischer SA-Veteranen als mit der Idee eines sozialen Netzwerks. Die Moderationskriterien sind derweil vage und erscheinen in ihrer Umsetzung willkürlich. Postings mit den unbefriedigenden Antworten des Dienstes auf Beschwerden von Nutzer*innen über einschlägige Tweets gehören genauso zur Folklore auf Twitter wie die regelmäßige Sperrung selbst reichweitenstarker Accounts aus dem eher linken Milieu.

Systemisch bedingter Fehler

Zu nicht geringem Teil finden sich die Attacken auf User*innen in den Replies auf deren Tweets. Das Problem systematisch negativer Antworten ist dem Netzwerk so eigen, dass es schon länger sogar statistisch beschrieben werden kann. So lässt sich allein am Zahlenverhältnis zwischen Replies und Likes (respektive Retweets) das Ausmaß des Hasses ablesen. Dabei gilt die Faustregel, dass eine signifikant höhere Zahl an Antworten prinzipiell Ärger bedeutet. Erreicht das Verhältnis von Likes zu Replies die Dimension von 1 zu 10, kann man im Regelfall unbesehen von einem veritablen Shitstorm sprechen.

Dieses Phänomen führt die Idee eines sozialen Netzwerks natürlich völlig ad absurdum. Menschen in freier Konversation miteinander zu verbinden, den Austausch von Ideen zu fördern, Toleranz und Verständnis zu stärken funktioniert auf Twitter ganz offensichtlich nicht sonderlich gut.

Nutzer*innen die Möglichkeit zu geben, sich selber vor unmittelbar feindseligen Reaktionen auf ihre Aktivität abschirmen zu können und sich auf ihren Austausch mit zivileren Gesprächspartner*innen fokussiert zu halten, kann sicher eine vernünftige Hilfestellung sein. Ob dabei jedoch mehr als nur ein bestimmtes Symptom eines systemisch bedingten Fehlers gelindert wird, können erst die Tests zeigen, die noch im Laufe dieses Quartals ausgerollt werden sollen.

Mindestens bis dahin bleibt Nutzer*innen, die Bedrohung und Hass ausgesetzt sind, nur die Option, den eigenen Account auf privat zu schalten oder Twitter gleich ganz zu verlassen und in beiden Fällen auf die Möglichkeit breiter öffentlicher Kommunikation zu verzichten. Eine andere Möglichkeit ist sicher immer die Organisation solidarischer Unterstützung, eine Art soziales Netzwerk im sozialen Netzwerk also. Obwohl der dafür nötige Aufwand vielleicht besser in den Aufbau dezentraler Strukturen digitaler Kommunikation investiert wäre, deren Funktionalität mehr an den Interessen der Nutzer*innen ausgerichtet wird. Das wäre dann allerdings kaum ein Thema für die International Consumer Electronics Show in Las Vegas.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.