Neues von Jeff Lewis und Adam Green: Antifolk allein zuhaus

Die US-Antifolkies Jeffrey Lewis und Adam Green haben neue Alben mit je bestechender Eigenlogik veröffentlicht. Und ein Comic gibt’s obendrauf.

Drei Männer lehnen an oder sitzen vor einem großen grünen Holztor

Jeffrey Lewis inmitten seiner Band Foto: Nic Chapman

Wenige haben es je so verstanden wie Jeffrey ­Lewis, mit Hippieshirt und langen Haaren, schrammelnder Akustikgitarre und skandierendem Gesang eine Halle sanftmütig gesinnter Folk-Fans in den Beinahe-Pogo zu versetzen. Mit Mitte 40 erscheint der New Yorker Künstler nun auch optisch als der Punk, den er musikalisch schon immer gegeben hat: Zumindest im Ultra-No-Budget-Film seines Kumpels Adam Green, „Wrong Ferarri“ [sic!], kann man Lewis schon einmal den Lederjacken-Punk mimen sehen, der plötzlich unverhofft im „Please don’t tell“, dem einstigen Hipster- und nun folgerichtig Touristen-Speakeasy an Manhattans Lower East Side auftaucht.

Nun trägt er also erstmalig im wahren Leben kurz und wasserstoffblondiert, und passend dazu geriert sich auch sein neues Album „Bad Wiring“ besonders rasant.

Aufgenommen hat der Musiker und Comic-Zeichner das Album zusammen mit Backing-Band ausgerechnet in der Countryhochburg Nashville. Der Produktionsstandort sorgte derweil schon für einige Gags, war aber bloß der Wahl des Produzenten geschuldet: Hier hat Roger Moutenot, dessen legendäre Werkliste mit Bands und Musikerinnen wie Yo La Tengo, Sleater-Kinney und Elvis Costello nur gerade eben angerissen wäre, sein Studio. Country & Western gehörte jedoch noch nie zu seinem Repertoire.

Auch wenn der Folk auf diesem Album selbstredend seinen Platz hat, schummelt sich hier und da auch schon einmal deutlich hörbar die nun verzerrte Gitarre mit in die Aufnahme. Ein Lied wie „In Certain Orders“ kommt gar mit einem fast schon U2-verdächtigen Intro daher, und auch funky und psychedelisch wird es stellenweise.

Drei Akkorde, oder zwei Noten

Trotzdem: Vielleicht ist musikalische Innovation ja wirklich überbewertet? Der Komponist John Cage wandte sich irgendwann dem japanischen Steingarten zu, der aus wenigen Grundmaterialien immer wieder andere Erscheinungen annimmt. Äquivalent hierzu schöpft Lewis aus demselben Formenrepertoire der letzten 20 Jahre, vieles klingt neu und bisweilen sogar aufregend. Selten mehr als drei Akkorde, manchmal nur zwei Noten sind es, über die ein schnell vorgetragener Sprechgesang zusammen mit dem notorisch treibenden Gitarrenanschlag insgesamt zwölf Lieder hervorbringt, die erstaunlich catchy sind. Und dringlich ohnehin. Das bekommen andere nicht mit großen Popproduktionen hin.

Schon beim ersten Hören ist „Bad Wiring“ vertraut, beim zweiten Hören kann man das meiste mitsingen. Das alles ist lupenreiner Jeffrey Lewis, vielleicht einer der besten, im Sinne von umfassendsten, den es je gab. Über die Songtexte wäre damit noch gar nicht gesprochen. Als Anschauung für die ganz großen Fragen, die nach dem richtigen Leben im falschen etwa, muss zum Beispiel ein Mao-Szenario und später eines über die heute omnipräsenten True-Crime-Zelebrierungen herhalten.

Wie, formuliert Lewis da, hätte wohl seine Kunst unter dem chinesischen Führer ausgesehen, und wäre der Arbeiteralltag in der Fabrik wirklich ein guter Tausch? Was sagt es über uns aus, dass wir lieber Serienkillern zuschauen als anderen Menschen? Und warum wird Selbstbewusstsein eigentlich als Wert an sich betrachtet, wo seine Verteilung doch so zufällig und ungerecht stattfindet? Mutet die einzelne Frage scheinbar naiv an, so entwickelt sich im Stilmittel der schier endlosen Aneinanderreihung eine bestechende Eigendynamik. Und auch Lewis’ Schlussfolgerungen sitzen: Sexyness, konstatiert er schließlich, sei wohl die einzig global gültige Währung.

Krieg und Paradies

Auch der eingangs erwähnte Adam Green hat vor Kurzem ein neues Album vorgelegt: Vorgänger „Aladdin“ war Soundtrack zum gleichnamigen Kunstmusical, „Engine of Paradise“ ist nun Bestandteil eines Gesamtkunstwerks, zu dem auch die gemeinsam mit dem Musiker und Comickünstler Toby Goodshank gezeichnete Novelle „War and Paradise“ gehört. Das gut 150-seitige Werk soll nicht weniger sein als ein modernes Historiengemälde, das sich zwischen brandaktuellen Schlagworten entfaltet – Tech und Porn, Fake News und, natürlich: Real Estate, Immobilien, das nicht nur für New Yorker allbestimmende Thema.

Ex Feuilleton-Darling: Adam Green Foto: Pete Voelker

Das zugehörige „Engine of Paradise“ ist ein im besten Sinne schönes, freundliches, beinahe zurückgenommenes Album geworden. Kein gigantischer Wurf, aber mit neun Songs in nicht einmal 22 Minuten ja auch eher Beiwerk zu einer dann wirklich umfangreicheren Graphic Novel. Nicht mehr ganz so pompös orchestriert, schimmern gerade in der ersten Albenhälfte immer wieder Greens mehr als solide kompositorische Qualitäten durch. Insbesondere im Titelsong, der, ähnlich wie bei Lewis, schon nach dem ersten Hören hängen bleibt.

Während Lewis selbst Zombie-Apokalypsen stets mit der nötigen Pragmatik vorzutragen pflegt, driftet Adam Green bekanntlich gern in Unsinnsgefilde ab. Doch lässt sich, gerade im Themenpaket mit „War and Paradise“, so etwas wie ein Sinnieren über das Leben als Mensch in technoiden Zeiten herauslesen.

Ausschnitt aus dem tollen Comic „War&Paradise“ von Adam Green und Toby Goodshank Foto: Pioneerworks

Im Vergleich zu früheren Erfolgszeiten wurde der ehemalige Liebling des hiesigen Feuilletons mit „Engine of Paradise“ nun eher unter „ferner liefen“ abgehandelt. Fair enough, mag man dazu sagen. Die etwa im Deutschlandfunk Kultur vorgebrachte Mutmaßung, hier hänge jemand nur noch in seiner gut situierten Hipsterblase fern jeder Realität in Brooklyn ab, ist jedoch aufschlussreich.

Jeffrey Lewis & The Voltage: „Bad Wiring“ (Moshi Moshi/Rough Trade).

Adam Green: „Engine of Paradise“ (30th Century Records/AWAL).

Das zugehörige Comic „War and Paradise“ gibt es als PDF auf adamgreen.info oder in Buchform bei https://pioneerworks.org/

Touren im März (Lewis) und Mai (Green) sind geplant.

Zum einen wäre es heute, wo niemand gern als privilegiert gelten möchte, ein Leichtes, sich trotz entsprechender Lebensstandards zum Rächer der Enterbten aufzuschwingen – was Green, der privat übrigens überzeugte Bernie-Sanders-Unterstützer und auch sonst politisch eher stark links Stehende, weder in Musik noch Film noch Malerei je getan hat. Wieso sollte er plötzlich damit beginnen? Weil die Zeiten schlimmer sind als je zuvor? Weil das erwachsen wäre?

Allerdings zählt die Was-wäre-wenn-Frage – was also, wenn der aktuelle Verdienst ökonomisch nicht mehr nötig wäre – ja wirklich zu den interessanteren, die man zum Beispiel mit neuen Bekanntschaften diskutieren kann. Würde die Arbeit schlechter werden, weil der unmittelbare Zwang zum Erhalt ausfällt? Oder gerade deshalb besser? Würde man nur einen Brotjob kündigen oder auch der Kunst- oder Musikproduktion den Rücken kehren?

Selbstgewählte Frühverrentung

Greens alter Kumpel Macaulay („Kevin – Allein zu Haus“) Culkin, der sich von seinen Kinderstar-Gagen vorausschauend ein Apartment im damals noch nicht ganz so teuren New York kaufte, beschrieb sein Lebensmodell im wunderbaren Pod­cast „WTF“ von Marc Maron jedenfalls einmal als selbstgewählte Frühverrentung: Für das unmittelbar Notwendige sei gesorgt, umso entspannter und unverbindlicher widme er sich den schöpferischen Ausflügen. Vergangene Stationen waren so unter anderem Auftritte in mehreren Green-Filmen (deren Pappmaché-Kulissen wiederum zum Teil im Loft des heutigen Wahl-Privatiers gefertigt wurden).

Vielleicht, denkt man sich, ist es auch für Adam Green eher ein Gewinn, nicht mehr so unmittelbar im Zentrum der tagesaktuellen Relevanzproduktion stehen zu müssen. Denn eigentlich war er dort schon immer fehl am Platze. Während der sich also scheinbar herauszoomt aus der Gegenwart, geht Lewis ganz nah heran.

Beide aber leben sie auf derselben Scholle, wo sich ihre Wege aus unterschiedlichen Richtungen kommend wieder kreuzen, wenn sie sich an der Dialektik der Geschichte in ihren ganz zeitgeistigen Erscheinungsformen abarbeiten. Während Adam Green zweifelt, ob es tatsächlich heute so viel schlimmer ist als dereinst, hegt Jeffrey Lewis seinerseits Zweifel, ob Verbesserung auf lange Sicht überhaupt je möglich ist: „I guess we’re not supposed to be wise / if everything that learns also dies“.

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