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Libyen: Angriff auf Militärakademie

Mindestens 30 Rekruten der Einheitsregierung sterben in Tripolis. Noch ist unklar, wer für den Angriff verantwortlich ist

Aus Tunis Mirco Keilberth

Bei einem Luftangriff auf eine Militärakademie im Zentrum von Tripolis sind am Samstagabend mindestens 30 Rekruten der Streitkräfte von Libyens Einheitsregierung ums Leben gekommen. Die Militärschüler waren kurz vor dem Einschlag der Raketen auf dem Exerzierplatz der Hadba-Kaserne zu einem Abendappell angetreten und waren auf dem Weg in ihre Unterkünfte.

Mehr als 40 junge Männer seien verletzt worden, teilte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums mit. Noch in der Nacht bildeten sich vor mehreren Krankenhäusern in Tripolis lange Schlangen von freiwilligen Blutspendern. In vielen Krankenhäusern der libyschen Hauptstadt herrscht ein Mangel an Medikamenten, Blutreserven und Verbandsmaterial. Der neunmonatige Krieg zwischen der ostlibyschen Armee von Chalifa Haftar und der Einheitsregierung von Regierungschef Fajis al-Sarradsch hat über 150.000 Bewohner in die Flucht getrieben.

Haftars Libysche Nationalarmee (LNA) kontrolliert mit der Hilfe Ägyptens, Russlands, den Arabischen Emiraten und Saudi-Arabiens die östliche Provinz Cyreneika und damit die Mehrheit der Ölquellen Libyens. Tripolis und die von Muammar al-Gaddafi in die Hauptstadt verlegten staatlichen Institutionen sind dagegen in der Hand von Premier Fajis al-Sarradsch, unabhängigen Milizen und westlibyschen Armeeeinheiten. In der Akademie im Stadtteil Hadba werden junge Männer aus ganz Libyen ausgebildet und der Einheitsregierung unterstellt.

Haftar bemüht sich seit Monaten, Tripolis mit seinen Kämpfern der LNA einzunehmen. Auf einer Pressekonferenz bezeichnete LNA-Sprecher Ahmed al-Mismari die Akademie und den Flughafen von Tripolis als legitime Ziele, da sie „von terroristischen Gruppen und für Waffenlieferungen aus der Türkei genutzt würden“. Noch ist allerdings unklar, wer für den Angriff vom Samstag verantwortlich ist. Der Flughafen von Tripolis wurde nach dem Einschlag von Granaten geschlossen.

Nach einer monatelangen Patt­situation war es der LNA im Dezember gelungen, an mehreren Stellen der 80 Kilometer langen Front bis zu acht Kilometer nah an das Stadtzentrum vorzurücken. Der auf der Friedenskonferenz von Shkirat berufene al-Sarradsch hatte daraufhin mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan einen Beistandspakt geschlossen, in dem der Türkei auch Rechte an Gasvorkommen nahe der libyschen Küste zugestanden werden.

Bisher sind zwar statt offiziellen türkischen Truppen nur syrische Freiwillige in libyschen Zivilmaschinen und türkische Waffen in Tripolis eingetroffen, aber das könnte sich schnell ändern. Vergangene Woche rief der 76-jährige Haftar schon zu einem „Dschihad“ gegen die bevorstehende „türkische Invasion“ auf. Während in vielen ostlibyschen Gemeinden und Sintan gegen die ­Stationierung von türkischen Soldaten protestiert wurde, gingen in Misrata und anderen westlibyschen Städten einige Menschen für die türkische Militärhilfe auf die Straße. „Libyen droht durch offene Parteinahme ausländischer Regierungen für die Kriegsparteien die Spaltung“, fürchtet der politische Analyst Younis Issa.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres forderte am Freitag alle internationalen Akteure dazu auf, das vom Weltsicherheitsrat während des Aufstands gegen Muammar al-Gaddafi verhängte Waffenembargo einzuhalten. Doch der Einfluss der ­UN-Mission in Libyen schrumpft merklich. Nach dem Hadba-Massaker stehen die Zeichen auf Eskalation.

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