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Die Erdgasförderung, die als Brückentechnologie auf dem Weg zur CO2-freien Zukunft gilt, lässt die Erde beben. Das bringt die Menschen auf die Straße. In den Niederlanden hat die Regierung Konsequenzen gezogen. Niedersachsen zieht nun nach 43–45

Gegner der Erdgasförderung nennen ihre Aktionen, wie diese hier Ende November auf dem Flugplatz in Scharnhorst, „X- Maker“: Die unweit am Rande des Wasserschutzgebietes Panzenberg geplante Förderanlage wird tatsächlich nicht gebaut Foto: Initiative „No moor Gas“ in Verden-Walle

Von Gernot Knödler

Beim Erdgas vereinen sich die Dilemmata der deutschen Energiewirtschaft aufs Feinste. Einerseits ist es eine heimische Energiequelle, mit deren Hilfe sich die Brücke in eine CO2-freie Zukunft schlagen lassen könnte. Andererseits sind in den vergangenen Jahren die Zweifel an diesem so sauber wirkenden Energieträger gewachsen.

Die vermeintlichen oder tatsächlichen Folgen der Förderung haben den politischen und den zivilen Widerstand wachsen lassen. In den Erdgasgebieten Niedersachsens fürchten Menschen um den Wert ihrer Häuser, weil es durch die Förderung immer wieder zu Erdbeben kommt. An manchen Förderstätten häufen sich die Krebsfälle; bei Havarien austretende Schadstoffe bedrohen das Grundwasser und ob Gas tatsächlich so viel klimafreundlicher ist als Erdöl oder Kohle, wird ebenfalls infrage gestellt.

Dabei würde in 63 Prozent der Wohnungen in Niedersachsen der Ofen ausgehen, wenn kein Gas mehr aus der Leitung strömte. Das allermeiste davon stammt aus Russland, Norwegen und den Niederlanden. Deutschland versorgt sich nur zu acht Prozent aus eigenen Quellen, die in Niedersachsen als Hauptfördergebiet quasi unter den eigenen Füßen liegen. In spätestens 16 Jahren dürfte damit Schluss sein.

Das liegt auch daran, dass die Gewinnung per Hydraulic Fracturing in Deutschland politisch nicht durchsetzbar zu sein scheint. Mehr noch: Mit der Diskussion über diese, kurz Fracking genannte Methode wurde plötzlich die seit Jahrzehnten laufende Gasförderung in Deutschland an sich infrage gestellt.

Beim Fracking muss, um an im Gestein festsitzendes Schiefergas zu kommen, das Gestein in der Tiefe an vielen Stellen aufgesprengt werden. Dazu wird eine mit Sand und Chemikalien versetzte Flüssigkeit in Bohrlöcher gepresst, die Risse im Gestein entstehen lässt, durch die das Gas aufsteigen kann. Im Gegensatz zu dieser sogenannten unkonventionellen Gasförderung wird bei der in Deutschland betriebenen konventionellen Förderung nur selten und an einzelnen Stellen gefrackt – in Niedersachsen zuletzt 2011.

Leckende Leitungen

Ein größeres Problem ist das Lagerstättenwasser, das mit dem Gas aus mehreren Tausend Metern Tiefe an die Erdoberfläche gelangt. Es enthält Salze, giftige Schwermetalle und Kohlenwasserstoffe, weshalb es in der Regel zurück in die Erde gepumpt wird. In Niedersachsen ist dieses Lagerstättenwasser immer wieder durch beschädigte, korrodierte oder gar ungeeignete Leitungen in die Umwelt gelangt.

Für die Jahre 2009 bis 2014 hat die Landesregierung auf Anfrage der Grünen 30 solcher Vorfälle aufgeführt. Dabei traten jeweils insgesamt nicht wesentlich mehr als 100 Kubikmeter belastetes Wasser aus. Anders war das bei einem Bohrloch von Wintershall Dea in Emlichheim im Kreis Grafschaft Bentheim, wo über mehrere Jahre zwischen 140.000 und 220.000 Kubikmeter Lagerstättenwasser aus einem maroden Rohr ins Erdreich drangen, wie Anfang 2019 bekannt wurde. Die große Angst der Anwohner ist jetzt, dass ein Teil davon in das Grundwasser gelangen könnte.

Selbst wenn nur ein Tausendstel dieser Menge austritt, macht das die Sorgen nicht kleiner – nur anders. So fand der Naturschutzbund (Nabu) in Söhlingen im Landkreis Rotenburg (Wümme) Quecksilber im Boden. Söhlingen ist umringt von Bohrstellen – und in der wenige Kilometer entfernten Samtgemeinde Bothel häufen sich die Krebsfälle. Statistisch sind dort in den Jahren 2003 bis 2012 doppelt so viele Männer an Blutkrebs erkrankt, wie zu erwarten gewesen wäre.

Die Landesregierung hat deshalb untersuchen lassen, ob es in Niedersachsen einen Zusammenhang zwischen der Nähe von Wohnorten zu Erdgasförderanlagen oder Bohrschlammgruben und der Häufigkeit von Krebsfällen gibt. Laut einer Auswertung, die im August veröffentlicht wurde, ist das Risiko, an Krebs zu erkranken, in der Nähe von Erdgasförderanlagen allgemein leicht erhöht und im Landkreis Rotenburg noch etwas stärker. Als Erklärung kämen „statistischer Zufall, konkurrierende Risiken oder auch spezifische, mit der Gasförderung verbundene Faktoren“ infrage, teilt das niedersächsische Gesundheitsministerium mit.

2012 und 2016 hat das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) auch noch ein weiteres Risiko untersucht: das der Erdbeben. Wird das Gas gefördert, ändern sich die Druckverhältnisse unter der Erde, wodurch sich Gesteine ruckartig gegeneinander verschieben können. In der Folge bebt die Erde.

Spannungen akkumuliert

Gegenstand der Untersuchung waren die teilweise kaum spürbaren Erdbeben bei Völkersen im Landkreis Verden. Die Verfasser verweisen auf die lange Zeitspanne zwischen dem Beginn der Förderung 1994 bis zum ersten „seismischen Ereignis“ 2008. Dies deute darauf hin, dass sich die Spannungen im Untergrund über viele Jahre akkumuliert hätten. „Weitere Erdbeben in der Größenordnung bisher beobachteter Stärke sind daher nicht auszuschließen“, stellen sie fest. In Völkersen dürften also auch in Zukunft öfter mal einfach so die Gläser im Schrank klirren.

Mehr Gas aus dem Ausland zu beziehen, ist eine fragwürdige Alternative. Dort drohen die gleichen Umweltprobleme. In den Niederlanden bebt die Erde. Beim Gastransport aus Russland leckt so viel von dem starken Treibhausgas Methan aus den Tausenden Kilometern Pipeline, dass der Umweltvorteil gegenüber den Energieträgern Erdöl und Kohle zu einem großen Teil verschwindet – viel stärker als beim heimischen Erdgas. Bleibt als Alternative das Gas aus den USA, das Präsident Donald Trump in den europäischen Markt drücken will. Und das wird zum größten Teil durch ­Hydraulic Fracturing gewonnen.

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